Rosenrot ist mausetot - Kriminalroman
das sei schliesslich seine Sache.
Das Buch über Appenzeller Räusche war für Hans das erste grössere Projekt seit geraumer Zeit, und er freute sich darauf. Wir hatten es schon einmal andiskutiert und wollten jetzt unsere Überlegungen zum Konzept vertiefen. Bereits das bisschen Austausch, das wir bisher per Mail und Telefon und einmal auch in einer persönlichen Begegnung oben auf meinem Hügel gepflegt hatten, hatte mir einen Geistesverwandten präsentiert. Ihm wie mir war geistige Unabhängigkeit heilig. Er wie ich interessierte sich für alle möglichen Themenfelder, solange diese nur einigermassen abseits lagen. Und dazu gehörten für uns beide unbestritten Themen wie Appenzeller Räusche.
So war es kein Wunder, dass wir uns guten Mutes an das gemeinsame Projekt machen wollten, zumal wir uns gut ergänzten. Mir war das Historische nicht gänzlich fremd, solange es um die grossen Zusammenhänge ging. Doch als ich einst ein Studium der Geschichte begann, habe ich schnell gelernt, dass ich nicht über das Gen verfüge, das einen gerne in staubigen Urkunden, die auch noch in Latein oder einem fremdartigen Deutsch geschrieben sind, wühlen lässt. Hans dagegen verfügte eindeutig über dieses Gen, er stöberte lustvoll in alten Quellen und hatte einen untrüglichen Blick für das Detail.
Meine Wenigkeit dagegen hatte in den Jahren ihrer lokaljournalistischen Laufbahn, die eines Tages jäh abbrach, gelernt, gute Storys über die Gegenwart zu entdecken und zu schreiben und gelegentlich auch einen Blick voraus auf mögliche zukünftige Entwicklungen zu werfen. Irgendwie hatte ich eine Ahnung, dass Appenzeller Räusche ein Thema mit Zukunft werden könnte. Da sich auch darüber mit Hans angeregt plaudern liess, hatte ich mich richtig darauf gefreut, jetzt mit ihm das Konzept weiterzuentwickeln.
Doch da war kein Hans. Ich warf einen Blick in jeden Raum. Im Schlafzimmer füllte ein breites Doppelbett fast den ganzen Raum. Hans hatte also nicht vor, lauter einsame Nächte zu verbringen, doch ich hatte keine Ahnung von seinem aktuellen Liebesleben und konnte deshalb nur spekulieren, ob das Bett momentanen oder erst künftigen Bedürfnissen nach Zweisamkeit diente.
Auch im kleinen abgeschrägten Zimmer direkt unter dem Dachfirst fand sich nichts ausser vielen Büchern und Archivschachteln. Offenbar benutzte Hans dieses Zimmer, das selbst ihm zu niedrig sein musste, als Archivraum. Im Wohnzimmer, das zugleich Büro war, fand ich keinen Hinweis, ebenso wenig wie in den Kellerräumen, in denen ich nur eine offenbar noch von den Vorbewohnern angelegte Werkzeugsammlung fand. Schliesslich ging ich noch einmal in die Küche und entdeckte dort im Spülbecken zwei offensichtlich benutzte Gläser.
Das hiess nicht unbedingt, dass Hans an diesem Vormittag Besuch gehabt hatte. Als er damals bei mir oben war, hatte er mich nämlich gebeten, den zweiten Saft in einem frischen Glas zu servieren, er hätte da so einen kleinen Spleen, nie zweimal aus demselben Gefäss zu trinken. Ich pflege selbst so viele Schrullen, dass ich von meinen Mitmenschen eine tolerante Haltung erhoffen muss, und bin den Spleens anderer Leute gegenüber deshalb nachsichtig. So habe ich mich auch darüber nicht weiter gewundert.
Ich nahm eines der Gläser in die Hand und schnüffelte daran. Ausser dem nicht gerade attraktiven Geruch von abgestandenem Grapefruitsaft stieg nichts in meine Nase. Da es im Haus offenbar nichts weiter zu entdecken gab, beschloss ich, auch mal draussen nachzusehen.
Im später als das Haus erbauten Schuppen aus Holz stand das Auto von Hans. Es handelte sich um eine ziemliche Rostlaube. Hans fuhr auch nicht gerne, kam aber jetzt bei seinem abgelegenen Wohnort nicht darum herum, ab und zu seinen kleinen Renault zu benutzen, der sich fast immer als klaglos funktionierendes Vehikel erwies, wie er mir mal erzählt hatte. Jetzt jedenfalls war der Wagen da, woraus ich messerscharf schloss, dass Hans nicht damit weggefahren sein konnte.
Mittlerweile hatte sich offenbar die Nebeldecke leicht gesenkt, was bedeutete, dass ich mitten in der besonders dichten Schicht steckte. Der Bretterzaun, der das ganze Grundstück mit Haus, Garage und winzigem Garten umschloss, war auf wenige Meter Distanz nur undeutlich zu sehen, wenngleich ich wahrnehmen konnte, dass er vor Nässe troff.
Innerhalb des Zauns fand ich nichts Auffälliges. So trat ich vom Platz zwischen Haus und Autoschuppen hinaus auf die kleine Zufahrtsstrasse und ging den Zaun entlang
Weitere Kostenlose Bücher