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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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achten, die Paul beim Bananenkauen machte. Der Traum, an den ich mich am besten erinnerte, handelte von Spaghetti aus Play-Doh-Knete, von Bändern und Regenbogen aus Knete, die aus den komischsten Stellen hervorgenudelt kamen – aus Steckdosen und Klimaanlagen-Schlitzen. Kleine Knetewürmer, die in den Ecken meines Zimmers und auf meinem Kopfkissen lagen. In dem Traum hatte ich mich nicht entscheiden können, ob ich fasziniert oder angeekelt sein sollte.
    Meine Mutter hatte mir nie erlaubt, mit Play Doh zu spielen. Sie fand Knete eklig und konnte den Geruch nicht leiden. So oder so war ich inzwischen zu groß, um über Knetmasse nachzudenken, und deshalb wollte ich vor Rose und Charlotte nichts über Play Doh schreiben – und erst recht nicht vor Paul. Seufzend sah ich auf Charlottes Blatt. Ganz oben hin hatte sie fein säuberlich in dunklen Buchstaben »Traumtagebuch« geschrieben, darunter das Datum. Mit Ellbogen und Unterarm schirmte sie ab, was sie weiter geschrieben hatte.
    »Hast du das hier zu Ende gelesen?«, fragte Rose Charlotte.
    »Klar.«
    »›Übrigens sind manche Fachleute davon überzeugt, dass eine richtige Traumdeutung nur mithilfe eines ausgebildeten Therapeuten vorgenommen werden sollte‹«, las Rose laut vor. »›Die Botschaften des Unterbewusstseins können ihrer Ansicht nach zu erschütternd oder beängstigend sein, wenn sie überstürzt oder ohne fachgerechte Anleitung entschlüsselt werden.‹ Oh Mann, Charlotte, weißt du, was das heißt?«
    Wieder wechselten Rose und Paul Blicke. Paul grinste und merkte offensichtlich nicht, dass ihm ein Bananenfaden aus dem Mundwinkel hing. Bei seinem breiten Lächeln musste ich immer an einen überdrehten Ferienlager-Betreuer denken. Und ich fragte mich, wann er mit jemandem gehen würde. Wahrscheinlich nicht so bald, denn er war ja nicht annähernd so cool wie Rose.
    »Klar«, behauptete Charlotte.
    »Ja? Das ist eine ganz schön ernste Sache.« Rose klickte wieder mit dem Kuli, den sie neben ihr Ohr hielt. »Das heißt, dass das, was wir hier machen, echt gefährlich ist.«
    »Ich weiß«, erwiderte Charlotte und sah zuerst Rose und dann Paul verärgert an.
    Rose ignorierte Charlottes schnoddrigen Tonfall, klickte noch einmal mit dem Kugelschreiber und schaute lächelnd auf ihren Traumtext hinab. Als ich ihren Gesichtsausdruck betrachtete, kam mir der Gedanke, dass der Traum vielleicht nur ein Witz gewesen war. Sie könnte ihn sich ausgedacht haben, um sich über Charlotte und mich lustig zu machen. Ich glaubte nämlich nicht, dass Sechzehnjährige von fliegenden Teppichen träumten. Die träumten sicherlich eher von den Sachen, die gerade in ihrem Leben passierten – wie vom Küssen und blauem Lidschatten und Algebra. Gewiss wimmelte es in Rose’ Träumen von Dingen, für die wir zu klein waren. Oder Rose war ein bisschen wie ich und träumte von lauter Kram, von dem sie gar nicht wollte, dass andere ihn verstanden.

Drei

    21. Mai 2006
    Während des Abendessens, bestehend aus Pizza und Rotwein (»Entschuldige, ich hatte keine Zeit zum Einkaufen«, erklärte Charlotte), erwähnten wir Rose mit keinem Wort.
    Stattdessen plauderten wir über die unverfänglichsten Themen. Über Charlottes Job (seit zwei Jahren als Lehrerin an der Waverly High, wo wir früher selbst zur Schule gegangen waren – war das immer noch merkwürdig?), über mich (mein Töpfern, das Community College, die alternden Hippies in meinen Abendkursen) und über Neil (dass er endlich seinen Master hatte und wirklich froh war, bei »U.S. Fish & Wildlife« zu arbeiten, weil es für ihn immer der Traumjob gewesen war).
    Als wir nun vor unseren Pizzaresten hockten, blickte ich mich um und staunte im Stillen darüber, dass ich tatsächlich wieder in dieser Küche saß. Allerdings war sie ein wenig modernisiert worden: Die hässliche Blumentapete war verschwunden – ersetzt durch schlichte helle Farbe –, und jemand hatte die dunklen Schrankfronten in einem matten Blau übermalt. Doch trotz der Farbe fühlte der Raum sich nach wie vor düster an. Auf der Seite des Gartens, auf die das Küchenfenster hinauszeigte, standen einige hohe, dichte Bäume, sodass hier kein Licht hereinfiel – schon früher nicht. Der alte Hemsworth-Geruch, nach Zigaretten, billigem Ahornsirup und Geschirrtüchern, war ansatzweise noch immer vorhanden, obwohl er unter dem blumigen Zimtaroma der Duftkerzen, die ihn übertünchen sollten, nur noch gerade eben so auszumachen war.
    Charlotte seufzte und

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