Rosenschmerz (German Edition)
Riemerschmid. Morgen sollte sie
zurückkommen.
»Frau Toledo?« Eine gepresste Stimme an ihrem Ohr.
Chili erkannte sie sofort. Der junge Mann von der Rezeption war ihr
hinterhergeeilt.
»Frau Riemerschmid ist soeben eingetroffen.«
»Heute?«
»Ja. Ich hatte Ihnen gesagt, dass sie morgen zurückkommt. Aber sie
ist soeben eingetroffen.«
»Weiß sie von Kirchbichlers Tod?«, fragte Chili mit Nachdruck. Die
alte Dame musste den Sänger sehr gut kennen, wenn sie mit ihm als Dauergast im
selben Hotel gewohnt hatte.
»Weiß ich nicht. Keine Ahnung.«
Sie musste vorsichtig sein. Bei Dreiundachtzigjährigen konnte man
nie wissen. Gott und die Welt können den geregelten Ablauf durchkreuzen.
Dreizehn Minuten später saß Martha Riemerschmid mit einem
Longdrinkglas auf einem Hocker an der Bar des Voglwirts. Den Fünfuhrtee
ersetzte sie durch ein beeindruckendes Glas Gin Tonic. Sie war eine zierliche
alte Dame mit dünnem, blau schimmerndem Haar und spitzenbesetztem grauem Kleid.
Ihre Augen tränten.
Es war kurz vor halb sechs, als sich Chili einen Platz neben ihr an
der langen, zinkfarbenen Bar erkämpfte. Sämtliche Plätze waren besetzt. Der
Todesfall im Hotel schien sich noch nicht herumgesprochen zu haben. Fröhliche,
braun gebrannte Gesichter wurden von Kerzenlicht angestrahlt, Gelächter und
Gesprächsfetzen schwirrten durch die Luft und verloren sich wieder. Die
Barkeeper behandelten Frau Riemerschmid voller Respekt. Aus der Nähe fiel Chili
auf, dass das Gesicht der Frau aufgedunsen war, vielleicht von reichlich Gin
Tonic, vielleicht von der Einnahme starker Tabletten, vielleicht von
Verzweiflung. Sie stellte sich vor und kam behutsam zur Sache.
»Ich hab’s vorhergesehen, dass es einmal so ausgehen würde«, sagte
Frau Riemerschmid mit zittriger Stimme. Von Trauer oder gar Entsetzen keine
Spur. »Bei dem war der Lack ab. Der war ein Irrlicht. Dem hab ich zuletzt nicht
mehr über den Weg getraut. Großspurig war der, hat viel zu üppige Trinkgelder
gegeben, und ich glaub nicht, dass der sich das alles hat leisten können.« Sie
senkte ihre Stimme und bildete mit der Hand einen Schalldämpfer. »Was meinen
Sie, warum der mich heimlich dreimal um Geld angehauen hat?«
Chili ließ die Frau eine Weile reden. Sie sei viel auf Reisen, so
lang es noch ginge, sagte sie. Bei aller Geschwätzigkeit besaß die alte Dame
eine natürliche, zurückhaltende Würde.
»Wissen Sie, wenn man in so einem Hotel wohnt wie ich, lebt man
davon, Leute zu beobachten. Sie sind eine Art Ersatzfamilie für mich. Es ist
die Fantasie der Eingeschlossenen. Zum Beispiel dürfte ich die einzige Person
sein, die weiß, dass der Kirchbichler immer wieder in Schwermut verfallen ist.
Nach außen hat er’s recht geschickt überspielt.« Sie überlegte kurz. »Und
dauernd ist er hinter der Catrin hergestiegen. Wie der Hahn auf dem Mist.«
»Catrin?« Durch Chili ging ein Ruck.
»Na ja, unsere Rosenverkäuferin. Eine hochgebildete Frau, die
Catrin. Akademikerin. Hat Literatur und Philosophie studiert, glaube ich. Die
Rosen hat sie nur verkauft, weil sie an einem Buch arbeitet und Milieustudien
machen will. Deshalb hat sie auch hereindürfen ins Hotel. Sonst hätte er das
niemals zugelassen, der Herr Direktor.«
»War Kirchbichler denn verliebt in Catrin?«
»Der liebe Niki Kirchbichler hatte jede Menge Weibergeschichten.
Mich hat er kaum beachtet. Doch Catrin war, glaube ich, für ihn zur Obsession
geworden. Ob mit oder ohne Erfolg, kann ich nicht beurteilen.«
»Hat die Catrin auch einen Nachnamen?«, fragte Chili.
Frau Riemerschmid lachte scheppernd. »Rosenverkäufer haben keinen
Nachnamen, verehrte Frau, merken Sie sich das. Catrin. Das ist alles. Wer sie
im richtigen Leben ist, das ist eine andere Sache.«
»Wissen Sie zufällig, wo sie wohnt, die Catrin?«
»Nein. Ich weiß nur – einmal, da hat sie im Hotel übernachtet.«
Die Augen der alten Dame waren klein vor Müdigkeit. Nun aber blitzten sie kurz
auf. »Ich will ja nichts gesagt haben, aber ich glaub, an einem Morgen hab ich
sie sehr früh aus der Suite von dem Kirchbichler kommen sehen. 302.« Dann stand
sie auf. Im Stehen war sie fast kleiner als im Sitzen. »Ach ja, das werden Sie
bestimmt schon wissen: Sie fährt einen gelben Motorroller mit Anhänger. In dem
transportiert sie ihre Rosen.«
Chili hätte die Frau umarmen können. Reden musst du mit den Leuten.
Vom Denken können sie’s nicht wissen. Der Spruch ihres verstorbenen Vaters
hatte sich wieder einmal
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