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Rosenschmerz (German Edition)

Rosenschmerz (German Edition)

Titel: Rosenschmerz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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bewahrheitet. Sie stieß einen langen, zufriedenen
Seufzer aus. Sie fühlte sich hellwach und voller Energie. Übermütig hielt sie
der alten Dame die Hand hin, und Frau Riemerschmid schlug die ihre knallend
dagegen.
    »Danke!«, sagte Chili.
    Weiter hinten, vor dem breiten Spiegelglasfenster am Ende des
Barraums, hatte ein Mann mit dem Rücken zum offenen Kamin gesessen. Er erhob
sich und verließ raschen Schrittes, mit abgewandtem Gesicht, den Raum. Chili
traute ihren Augen nicht. Der Mann war groß, sportlich und hatte einen
elastischen Gang. Es war kein anderer als Kevin Specht, ihr Vorgesetzter. Der
Stellvertreter im K1.
    *
    Ottakring war seit zehn Minuten wieder im Büro, als kurz
nacheinander dreimal das Telefon schellte.
    Der erste Anruf kam von Chili. Er hörte sich das Ergebnis ihrer
Begegnung mit Frau Riemerschmid an. Als Chili auf die Details über Catrin, die
Rosenverkäuferin, zu sprechen kam, ließ er sich zu einem lang gezogenen
»Suuuuper!« hinreißen. Und als sie gar noch das auffällige Fahrzeug erwähnte,
den gelben Roller, schnalzte Ottakring mit der Zunge.
    Eine Antwort auf die Frage, warum diese Catrin auch auf Scholls Beisetzung
gewesen war, fand er allerdings nicht. Noch nicht.
    Der zweite Anruf kam von Lola. Sie wollte sich erkundigen, wie es
ihm erginge im neuen Job. »Heute Nachmittag wollte ich mit dem Zug zu dir nach
Rosenheim kommen. Doch dann hab ich den Gedanken verworfen. Du brauchst deine
Zeit und deinen Kopf jetzt für Wichtigeres.«
    Typisch Lola. »Und – wie geht’s dir?«, fragte er. »Spürst du so
etwas wie eine Besserung?«
    »Wart’s ab. Noch neun Tage.«
    Das dritte Telefonat führte er mit Huawa von der Pforte. Der war
gegen vier Uhr mit Herrn Huber Gassi gegangen. Erst jetzt merkte Ottakring, wie
spät es war. Er hatte seinen Hund glatt vergessen.
    »I hab mit meiner Frau gsprochen.« Huawa klang, als säße er im
Beichtstuhl. »Wie wär’s, Herr Kriminalrat, wenn mir den Herrn Huber zu uns
nehma tatn, bis Sie … sagn mir – bis Sie Ihren Fall glöst ham? Des
tuat bei Eahna ja nie so lang dauern. Mei Frau tat si freia. Sie tat sich
tagsüber um ihn kümmern, i um den Rest. Habedere.«
    Die Vorsehung hatte wieder zugeschlagen. Die Zeit in ihrer
beschleunigten Form. Was konnte ihm und Herrn Huber Besseres passieren in
diesen turbulenten Tagen? »Und ab wann soll das gelten, Huawa?«
    »Iatz glei. Ab sofort, Herr Kriminalrat!«
    Ab sofort hatte er keinen Hund mehr. Sein Hund, der Einzige, der sich
freute, wenn ihm etwas vorgeworfen wurde.
    »Ja, Chili?« Sie rief noch einmal an. Ihre Stimme klang besorgt.
    »Der Specht«, sagte sie. »Dein Stellvertreter. Er war auch da. Er
saß ganz hinten an der Bar, als ich mich mit Frau Riemerschmid unterhalten hab.
Nein, keine Ahnung, ob er mich gesehen hat. Aber ich glaub schon.«
    Ottakring spürte, dass sie noch etwas sagen wollte. Er behielt
recht.
    »Zum ersten Mal ist mir das aufgefallen. Weißt du, wie Specht mir
vorgekommen ist? Als wenn er sich überhaupt nicht wohl fühlt in seiner Haut.«

FÜNFTER TAG
    Es war ein Glücksfall, dass er den gelben Motorroller samt
Anhänger aufspürte.
    Ottakring hatte keine Nachtruhe finden können. Er hatte sich im Bett
hin und her gewälzt und war unruhig durch die Wohnung geschlichen, immer auf
der Suche nach Herrn Huber. Er vermisste den Hund. Er hörte ihn schnarchen und
winseln, meinte sogar seinen Schatten zu sehen.
    »Ich glaub, ich fang schon an zu spinnen!«
    Er verwarf den Gedanken, den Kameraden mitten in der Nacht bei
seinen Pflegeeltern anzurufen. Gegen drei Uhr morgens hatte er begriffen, dass
seine Einschlafversuche für die Katz waren. Er stand auf, bedeckte seine freien
Stellen mit Wollmütze, Handschuhen und gefüttertem Parker, schnappte sich sein
Fahrrad und fuhr los.
    Mond und Wolken zauberten milchige Skulpturen an den Himmel.
Ottakring hatte Mühe, nicht so etwas wie Glück zu empfinden bei all dem
Lichtspiel, dem Schnee und der Einsamkeit auf den Straßen. Er kreuzte mit
seinem Radl durch die Rosenheimer Geisterstadt wie ein Segelboot durch eine
Enge. Nachts, trotz der Lichtersterne überall, sahen die menschenleere
Fußgängerzone, die dunklen Schaufenster, die Fassaden mit ihren Fensterhöhlen,
das Hofbräuviertel vollkommen anders aus als am Tag. Bestimmt war er hier bei
Tag schon x-mal herumgetourt. Aber bei Nacht war alles fremd, sogar die
Gerüche. Selbst die zwei Schläge vom nahen Mittertor klangen wie Totenglocken.
    Gerade als es halb vier schlug,

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