Rosenschmerz (German Edition)
sein, als seine Hand an
die Kehle fuhr. Doch dann erstarrte er und glotzte Chili vorwurfsvoll mit
offenem Mund an, durch den er gurrend Luft holte. Ihm war anzusehen, wie er
litt, während Chili seelenruhig auf der anderen Chilihälfte weiterkaute. Seine
Augäpfel drängten nach außen. Speichel triefte aus den Mundwinkeln. Er hechelte
in kurzen Zügen, als nähme er Anlauf zu einem weiten Sprung. Doch bevor es zu
einem weiteren Jahrhundertschrei oder gar Sekundentod kam, spuckte er die
eineinhalb Zentimeter Schote in kleinen Brocken aus und presste mit geweiteten
Augen beide Hände auf den Mund. Er merkte, dass er mehr und mehr sich selbst
abhanden kam. Dann rutschte er auf den Boden, blieb hocken und stierte
ausdruckslos vor sich hin.
»Herr Ottakring? Hallo, Herr Ott…!«
Ottakring fuhr hoch wie aus einem schlechten Traum.
»Ihr Handy klingelt.« Bruni hielt es ihm entgegen.
Er schaute sich um. »Wo ist, äh, Frau Toledo?«
Bruni zeigte mit dem Kinn Richtung Badezimmer.
»Hallo.« Ottakring krächzte und leckte sich die Lippen. Seine Stimme
hatte jegliches Volumen verloren. »Hallo?« Hätte er auf das Display gesehen,
hätte er gewusst, dass Lola dran war.
»Guten Morgen, Liebster. Stör ich dich? Entschuldige, wenn ich dich
im Dienst anrufe. Aber ich hab gerade die Wettervorhersage gesehen. Es wird
wunderschön. Ein bisschen kalt das Wochenende, aber viel Sonne. Wunderschön
halt. Wollen wir …«
Die Klospülung übertönte jeden Laut.
»Wollen wir was?«
»… Ski fahren gehen?«
Eine Myrte kroch über den Bauch des Kupferkessels. Kleine
weiße Blüten hingen wie Tropfen aus ihren Blattachseln. Der Geruch war betörend.
Sie saßen sich in der Hauptlounge des Voglwirts gegenüber.
Alpenmusik dudelte dezent durch die Halle.
»Frau Scholl«, eröffnete Ottakring das Gespräch. Klein-Ferdinand
tobte um sie herum. »Wir sprechen von den Trauergästen. Kennen Sie eine
Katharina Silbernagl?«
Die Antwort kam wie ein Geschoss. Nicht der Funke eines Nachdenkens.
»Nein. Wer ist das?«
Ottakring schob das Rosen-Foto aus Katharinas Wohnung über den
Tisch. »Sie stand bei der Beisetzung etwas abseits. Trug einen weißen Anorak.
Sie war auch bei der Feier im Voglwirt dabei. Da hat sie diese Rosen verkauft.«
Er tippte mit der Spitze eines Kugelschreibers auf das Bild.
»Ach ja. Kann sein. Ich erinnere mich schwach. Kann sein.«
»Kann sein, dass sie Rosen verkauft hat? Oder kann sein, dass Sie
sie kennen?«
»Also …« Sie nahm das Foto in die Hand. »Also ist das nicht
die, die auch in der Stadt Rosen verkauft? Am Christkindlmarkt? Aber wieso, was
soll die Frage?«
Ottakring konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Die
Witwe von Sebastian Scholl weckte sein Interesse. Sie war intelligent, das
konnte er spüren. Und sie war gewiss leidenschaftlich. Wobei er nicht so recht
dahinterkam, worauf diese Leidenschaft gerichtet war.
»Katharina Silbernagl war bei der Beisetzung Ihres Mannes. Und ich
frage mich, warum. Aus reiner Neugierde hat sie bestimmt nicht teilgenommen.
Also muss sie einen besonderen Anlass gehabt haben, meinen Sie nicht?«
Frau Scholl zündete sich eine Zigarette an. »Und warum fragen Sie
sie nicht selbst?«
Er vermutete, dass sie die Antwort auf seine Frage bereits kannte.
»Weil sie verschwunden ist«, erklärte er trotzdem. »Noch was, Frau Scholl. Wer
hat eigentlich dieses rauschende Fest im Voglwirt finanziert? Ihr verstorbener
Mann?« Das konnte kaum sein. Ottakring wusste schließlich, was ein
Polizeibeamter verdient.
Die Witwe schien zu platzen. Mit geblähten Wangen saß sie da. »Sein
Vater«, sagte sie gepresst.
Aha, der distinguiert wirkende Herr von der Beerdigung. Als er das
Gespräch beendete, war er sicher, dass die Rädchen in Frau Scholls Gehirn noch
für einige Zeit rotieren würden.
Beim Hinausgehen stieß Ottakring auf Robert Speckbacher, den
Hotelassistenten. Er trug das typische Gwand, das bedeutende Männer – also
Hoteliers, Gastronomen, Pfarrer in Zivil, Geschäftsleute, Politiker – in
diesem Landstrich zu tragen pflegen: die CSU -Einheitskleidung
der Tracht.
Undurchsichtig war er, der Speckbacher. Ja, das war die treffende
Beschreibung, die Ottakring in diesem Moment für ihn parat hatte.
Undurchsichtig.
Und er wusste nun, warum ihm die Rosenverkäuferin gleich so bekannt
vorgekommen war: Er hatte sie schon vorher in der Stadt arbeiten sehen.
Es war Mittag geworden. Das Sonnenlicht, das schräg von
Süden einfiel, hinterließ in den
Weitere Kostenlose Bücher