Rosenschmerz (German Edition)
Haben wir nicht schon alles besprochen?«, sagte sie mit heiserer
Stimme.
Ottakring räusperte sich zweimal. »Sind Sie ganz sicher, dass Sie
die Frau Silbernagl nur als Rosenverkäuferin kennen? Sonst ist sie Ihnen noch
nie in die Quere gekommen, äh, über den Weg gelaufen?«
Sie runzelte die Stirn, und der Ausdruck in ihren Augen schwankte
zwischen Verwirrtheit und Angst.
Ottakring war sicher, dass er sich auf der richtigen Spur befand. Im
Bruchteil einer Sekunde zauberte er Katharina Silbernagls Fotografie – die
mit dem Rosenstrauß – hervor und hielt sie Ferdinand unter die Nase.
»Kennst du diese Frau?«
Bevor Frau Scholl dazwischengehen konnte, juchzte der Kleine
hocherfreut: »Ja. Das ist Catrin. Und wo ist Papi?«
Frau Scholl schlug die Hände vors Gesicht.
Demonstrativ langsam steckte Ottakring das Foto wieder ein und
machte auf dem Absatz kehrt.
»Halt! Bleiben Sie!«
Ottakring machte zwei weitere Schritte.
Frau Scholl schickte den Kleinen ins Haus und schloss die Tür.
»Sie kennen diese Frau also nicht oder nur flüchtig?«, fragte er und
wandte sich um.
»Ja. Ich kann Ihnen das erklären. Mein Mann hat bei dieser Frau in
der Stadt ein-, zweimal Rosen für mich gekauft. Und Ferdinand war dabei
gewesen. Daran kann er sich natürlich erinnern.«
»Und wie kommt’s, dass er ihren Vornamen kennt?«
Kurzes Zögern. »Den wird sie halt gesagt haben. Oder mein Mann
wusste, wie sie heißt. Er war schließlich Kriminaler. Da weiß man das doch.
Oder?«
Ottakring ließ es gut sein. Er glaubte ihr kein Wort.
SECHSTER TAG
Mit einem Fußtritt stieß er die Bürotür auf und rannte
gleich zum Telefon.
In der Nacht war Ottakring eingefallen, dass er überhaupt noch
nichts von den Kollegen im K4
gehört hatte. Von den Giftlern. Sie hätten sich längst melden sollen.
Wenigstens ein Zwischenergebnis hätte man ihm mitteilen müssen. Auf seine
Anfrage nämlich, inwieweit Kirchbichler in die Rosenheimer Drogenszene
verwickelt war. Sie hatten Kokain in seiner Suite gefunden, und er wollte
wissen, wie der Stoff in seine Hände gekommen war. Ein Dealer, der kein Geld
bekommt, ist schnell zu allem fähig.
Er hatte kaum die Hand am Hörer, da klingelte das Telefon. Eine
weibliche Stimme, weder alt noch jung.
»Ich ruf wegen Niki Kirchbichler an«, sagte die Stimme. »Er schuldet
mir Geld, der Lump. Viel Geld. Ich hab’s schriftlich. Einen Schuldschein.«
»Anonym« las er auf dem Display. Ottakring hatte den Eindruck, dass
die Person sich aufgeschrieben hatte, was sie sagen wollte, und dass sie es
ablas. »Was wollen Sie?«, brummte er unwirsch. »Haben Sie auch einen Namen?«
»Gabriele Bauer …«
Ottakring fragte sich, was für ein Mensch das wohl sei, der sich mit
dem Namen der Rosenheimer Oberbürgermeisterin meldete.
»Erstens will ich mein Geld zurückhaben. Zweitens – ich war
früher mit Niki Kirchbichler befreundet. Bis dieses Aas erschien.«
»Frau Bauer«, ging Ottakring dazwischen. Er kannte diese Art von Anrufen
und wusste, welche Dimensionen sie annehmen konnten. »Wollen Sie nicht
herkommen? Ich bin noch eine Stunde im Büro. Oder ich komm auch zu Ihnen, wenn
Sie möchten. Wo wohnen Sie?«
Er meinte ein leises Schluchzen zu hören. Jedenfalls sagte die Frau
nichts mehr.
»Hallo? Sind Sie noch da?«
»Die hat doch nicht nur mit dem Niki rumgemacht …«
Damit endete das Gespräch. Die Leitung war tot. Eine Rückverfolgung
war nicht möglich. Sollte es eine enttäuschte Liebhaberin Kirchbichlers gewesen
sein? Eine, die auf Katharina Silbernagl eifersüchtig war?
Er kam nicht dazu, weiter nachzudenken.
Chili stand entschlossen unter der Tür. Ihre Lippen waren ein
Strich. »Ich hab den Haftbefehl. Die Arbeitsgruppe ist auch schon gebildet.«
Sie nannte die drei Namen. »Ich leite sie, wenn’s dir recht ist. Wir haben
schon angefangen.«
So etwas mochte er. Selbstständig arbeiten und entscheiden.
So kam Ottakring dazu, zu erledigen, was er sich
vorgenommen hatte. Auf dem Autobahnzubringer strömte sämtlicher Verkehr
stadteinwärts in die Gegenrichtung. In wenigen Minuten war er beim Voglwirt.
Ganz bewusst parkte er gleich neben dem Platz, auf dem Kirchbichlers grüner
Jaguar gestanden hatte. Das Fahrzeug war sofort sichergestellt worden. Keine
Auffälligkeiten.
Zum ersten Mal fiel ihm der repräsentative antike Spiegel hinter dem
Empfangstisch in der Hotelhalle auf. Auf dem dunklen, polierten Tischchen
darunter stand eine quadratische Glasvase mit frischen Rosen, deren
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