Rosenschmerz (German Edition)
lebensbedrohliche
Herzrhythmusstörung. Hähäää.««
Ottakring blies eine Lunge voll Luft durch die Nase und blieb kurz
stehen.
»Es kommt zu einer intrazellulären Anhäufung von Kalziumionen«,
hörte er den Pathologen sagen. »Nämlich durch eine verzögerte Inaktivierung
oder Reaktivierung kardialer Kalziumkanäle, was frühe
Nachdepolarisationen …«
Ottakrings Gehirn war leer wie ein Autotank bei einem Benzinpreis
von fünf Euro. »Auf Deutsch?«, hauchte er gerade so laut, dass der andere ihn
hören konnte.
»Hähähäää! Entschuldigung. Ist so in mir drin. Ich bin im Nebenberuf
ja auch Internist. Sie haben im Gutachten gelesen, dass Kirchbichler, ohne es
zu wissen, an extremem Kaliummangel litt, dass sein Magnesiumspiegel extrem
niedrig war und wir einen drastisch erhöhten Wert dieses Antidepressivums
Fluopram festgestellt haben. Antidepressiva an sich verändern schon das
Lebenspotenzial. Wenn aber anstatt der üblichen zwei Tabletten am Tag sagen wir
zehn oder zwölf eingenommen werden und der Stoff im Körper erhitzt wird, wenn
dazu noch wenig getrunken und heftig geschwitzt wird, wird das zelluläre Milieu
stark beschädigt – ach, ich will Sie nicht weiter langweilen. Jedenfalls
kommt es unter diesen Vorzeichen unweigerlich zum Zusammenbruch und zum
Herz-Kreislauf-Versagen.«
Sie waren, ohne es zu merken, in den kleinen Park gekommen, der sich
auf der Ostseite des Hotels befand. Aus der Ferne hörten sie die A8 München –
Salzburg rauschen. Entlaubte Kirschbäume, haushohe Zypressen und geduckte
Latschenkiefern rahmten eine leer geräumte Außenterrasse ein, auf denen sich
vier heiser krächzende Krähen um eine weggeworfene Semmel stritten. Zwei
zusammengerollte kaisergelbe Markisen lehnten in einer Ecke. Bei den ersten
wärmenden Sonnenstrahlen würden auf diesem Platz statt der Krähen die Gäste
hüpfen. Das war bayrisches Naturgesetz: Wenn Sonne, dann raus. Sie würden sich
in warmer Kleidung, eingehüllt in Decken, vor ihren Latte macchiato oder ihren
Jagatee in die Stühle fläzen, berieselt von Alpenmusik.
»Wir haben den Kirchbichler aufgemacht«, sagte der Professor. »Ich
hatte den Verdacht, dass er was am Herz hat. Aber der war pumperlgsund.
Todesursache ist eindeutig ein Zuviel des Medikaments. Nun deuten ja alle
Vorzeichen darauf hin, dass der Mann mit Suizid nichts am Hut hatte. Aber das
ist nun Ihr Revier, Ottakring.«
Der nickte zufrieden. Selbstmord konnte er aus vielerlei Gründen
ausschließen.
»Also bleiben nur Versehen oder …«
»Auch ein Versehen ziehen wir nicht in Betracht«, sagte Ottakring
mit leiser, zwingender Stimme. »Dafür war Kirchbichler viel zu ängstlich und
punktgenau. Der behandelnde Arzt legt dafür die Hand ins Feuer.«
Professor Buchberger zog den Kriminalrat zurück zum Eingang. »Mir
wird kalt«, sagte er. »Ich hab den Mantel im Auto gelassen. Wusste nicht, dass
wir gleich einen strammen Marsch unternehmen würden. Also – wenn nicht
Suizid und nicht ungewollt, bleibt nur eins. Oder? Hähää.« Ruckartig hielt er
an. »Noch eine Kleinigkeit sollten Sie für Ihre Ermittlungen in Betracht
ziehen. Dieses Mittel wirkt nicht sofort. Um die beschriebene Wirkung zu
erzielen, brauchen Sie vier bis sechs Stunden Vorlauf. Das heißt … es
handelt sich … na ja, das ist wieder Ihre Zuständigkeit. Hähäää …«
»Absolut. Da hat jemand sehr genau über die Wirkungsweise Bescheid
gewusst. Zu genau für meinen Geschmack. Und hinter diesem Jemand sind wir her.
Wie mein Hund hinter der verhassten Katz.«
Es war halb zwölf. Außer einer benommenen Fliege, die über
der Eisvitrine in der Ecke schwirrte, hatte die Wirtin von Ottakrings
Lieblingsitaliener noch keine Gäste.
»Ich hab einen Mordshunger«, sagte er.
»Buono e presto« , sagte Lucca ohne
Fragezeichen.
Ottakring hob den Daumen und rückte sein Handy in den rechten Winkel
des äußersten Tischendes.
»Wie wär’s mit Risotto ai funghi ? Reherl
auf feinem Risotto mit Basilikum drüber. Und einen kleinen Vogerlsalat dazu.
Na?«
»Gebongt. Und ein Achtel …«, sagte Ottakring gerade noch
rechtzeitig, bevor der Radetzky in seinem Handy aufmarschierte.
»Gebongt. Lugana. Und ein Wasser mit Gas«, sagte Lucca und
verschwand.
»Ja? Ottakring.«
»Eva M. hier. Ich hab alle Kontaktadressen und Kontaktpersonen
von Katharina Silbernagl abgecheckt. Aber keiner weiß, wo sie steckt oder
stecken könnte. Ich hab auch nicht den Eindruck, dass jemand gelogen hat.«
Eva M. Wie
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