Rosenschmerz (German Edition)
auf den See herab. Es erreichte eine Zeile aus schmalen Häusern mit
breiten, holzüberladenen Giebeln. Ziemlich heruntergekommen, Rauch aus
verrußten Kaminen, undichte Türen und wackelige Fenster. Ein Hof lag etwas
abseits auf der Höhe und stach die anderen durch seine Würde und Fülle aus.
Eine kurze Treppe führte zur Haustür hoch. Es gab keine Klingel und kein Namensschild,
nur ein geschnitztes, geschweiftes Schild mit der Adresse: Urfahrn 13.
Der Schneepflug kam das gewundene Sträßchen den Berg herauf und
schleuderte den Schnee bis vor die Hauswand. Trotz des Lärms und der sprühenden
Kaskaden blieb Katharina Silbernagl auf dem Stuhl sitzen, den ihr der Onkel
gleich in der Früh vor die Tür gestellt hatte.
»Flenn dich aus, Madl«, hatte er ohne viel Mitgefühl gesagt. Dann
war er in den Stall gegangen.
Katharinas Gesicht wirkte ein wenig geschwollen, ihre Augen sahen
ungefähr dreimal so rot geweint aus wie noch in der Nacht zuvor, als sie mit
dem Motorrad angekommen waren. Außerdem war sie übermüdet und hatte einen
Geschmack von Asche auf der Zunge. Und Spuren im Gesicht, die ihren
nächtlichen, ausschweifenden Alkoholkonsum verrieten. Kathi – wie sie von
ihren Leuten genannt wurde – war immer noch ziemlich beschickert und
fühlte sich himmelkreuzelend. Nicht nur wegen dem Birnenschnaps. Trotzdem
strahlte ihr Gesicht mit dem samtenen Teint, umrahmt von dunklem Haar, eine
bemerkenswerte Willenskraft aus. Ihre Beine steckten in einer braunen Cordhose,
darüber trug sie einen quergestreiften Norwegerpulli.
Als sich der Pflug vorübergeschoben hatte, roch es wieder nach
Fichtenwald. Kathi hätte jetzt gern einen Mann gehabt. Sich nach dem Aufwachen
mit einem wilden Mann im Bett zu kugeln, ihn laut juchzend zu verwöhnen, das
war ihr Leben. Mit Wehmut dachte sie an Niki. Wie er tot und hilflos dalag in
der Sauna. Champagnerfarben, verbogen und mit schlaffem Schwanz. Sie schlug die
Hände vors Gesicht und wippte mit dem Oberkörper vor und zurück.
Die Zeit wird wiederkommen, dachte sie. Bald sogar. Oder?
Drunten, jenseits des Schnees, fuhr ein Polizeiauto langsam die
Uferstraße am Walchsee entlang. Natürlich würde man sie suchen. Aber der da
unten war zu früh dran. Unmöglich. Irgendwann würden sie wahrscheinlich auch
hier aufkreuzen. Doch das würde dauern. Es war ein Fehler gewesen, sich dieses
blöde Verwarnungsgeld einzufahren. Sie hatte Josef vorher gewarnt, nicht die
Fünfzig zu überschreiten. Aber der mit seiner Bike-Verrücktheit …
Die Wohnung werden sie entdeckt haben, fürchtete sie. Aber, na ja,
was sollen sie dort schon finden? Ihr ging es vielmehr um ihr Versteck. Das
müsste schon ein saudummer Zufall sein, wenn sie darauf stoßen würden. Und
selbst wenn – Charly würde dichthalten, schon im eigenen Interesse. Kathi
kniff die Augen zusammen und schnäuzte sich. Dann verschränkte sie die langen,
schmalen Hände im Nacken und dachte eine Weile nach.
»Eine Rose für einen Euro! Kauft, Leute, kauft!« Wie oft hatte sie
diesen Ruf ausgestoßen. Auf dem Christkindlmarkt. Beim Voglwirt. Bei
Hochzeiten, bei Firmenjubiläen. Und wofür? Sie brauchte viel Geld, das sie mit
den bescheuerten Rosen natürlich nicht zusammenbekam. Wie gern hätte sie sich
die schönen Dinge, ohne die sie nicht leben mochte, wieder einfach genommen.
Ein neues Top oder einen Blazer bei Andrea Körber. Ein teures Parfüm bei
Douglas. Ein Stückchen Schmuck bei Karstadt. Doch seit ihrer Verurteilung hatte
sie sich zusammengerissen und sich, auch wenn es sie oft in den Händen juckte,
die Finger nicht verbrennen wollen. Sie wollte die Bewährung nicht riskieren.
Irgendwie war ihr ganzes Leben ein einziges Menschheitsderblecken.
Langsam wurde ihr klar, dass sie, ohne es zu wissen, in Wirklichkeit zwei Leben
führte. Ein Kunstleben als angebliche Akademikerin und Buchautorin. In dem sie
ihre Umgebung bis zur Weißglut verarschte. Und dann das Leben, in dem sie sie
selbst war, ein Leben als erfolgreiche Diebin und Betrügerin. Damit kam sie gut
zurecht. Wenn erst die verdammte Bewährungszeit wieder vorbei war …
Pornostar, ja, das wär noch ein Ziel für die Zukunft. Mit dem Schönsten von der
Welt auch noch Geld verdienen. Sie glaubte nicht, dass sie dafür schon zu alt
war. Doch sie hatte keinen blassen Schimmer, wie man es anstellte, Pornostar zu
werden.
Die letzte Nacht mit Charly fiel ihr ein. Charly, der aussah und
sich benahm, als sei er noch nicht aufgeklärt. Als könne er eine
Weitere Kostenlose Bücher