Rosentod: Thriller (German Edition)
und Nachdenken gar nicht gut. Da grübelt sie, bis der Schädel glüht.
Das Leben umkrempeln.
Darauf käme es jetzt an.
Aber wie soll sie das anfangen?
Phlegmatisch betrachtet sie die Krankenstandbestätigung auf dem Glastisch. Was ist jetzt also mit Schokolade? Sie ist unglücklich. Sie bräuchte etwas.
In so einer Situation hilft nur ein Appetitzügler. Seufzend rappelt sie sich hoch und holt die Pillenschachtel aus dem Apothekerschrank. Längst schon Routine. Ohne Hungerbremse ginge seit Tagen nichts mehr.
Und Männer? Ach, Gott. Von denen hat sie momentan die Schnauze voll. Zugegeben, das Alleinsein ist nicht gerade ideal. Es quält sie jeden Tag ein bisschen mehr. Andererseits ist sie noch nicht einmal Mitte 30. Kein Alter zum Verzweifeln.
Sie blickt in den Spiegel. An diesem Gesicht, beherrscht von hohen Jochbeinen, dichten Augenbrauen, gletscherblauen Augen, einer kleinen Nase und einem sehr sinnlichen Mund ist doch nichts auszusetzen. Auch nicht mit ungewaschenem Haar. Und solange sie Kleidergröße 38 trägt, ist sowieso alles in Ordnung.
Freilich ist ein gewisser Aufwand nötig, um nicht so mollig zu werden wie ihre Mutter. Hätte die vor 18 Jahren auch so viel in ihre Figur investiert, wäre Papa vielleicht nicht fremdgegangen. Im Grunde hat sie ihr den Verlust des Vaters nicht verziehen. Und ihm? Ihn hat sie ignoriert. Jahrelang. Und jetzt ist nur noch Mama übrig.
Ulla haust in einer der schöneren Gegenden von Graz. Das vierstöckige Haus ist außen wie innen sehr gepflegt. Eine Dreizimmerwohnung mit hellen Räumen und Aussicht auf einen kleinen Park. Trotzdem ist es nicht sonderlich gemütlich bei ihr. Die liebevollen Details fehlen, die eine Bleibe erst zur Wohnung machen. Irgendwie riecht da alles nach Aufbruch. Nach Provisorium. Wenngleich sie schon seit vier Jahren hier lebt.
Wenigstens muss sie nicht mehr Strafrecht büffeln, freut sie sich, während sie die Tablette mit einem Schluck Wasser hinunterspült und das Gruppenfoto betrachtet, das weiß gerahmt auf der Kommode steht. Der letztjährige Offiziersjahrgang. Vorne die Uniformierten, hinten die Kriminalisten. Ulla steht in der vorletzten Reihe ganz links außen und scheint irgendwie nicht so recht dazuzugehören.
Nach ihrem erfolgreichen Einspruch gegen eine Versetzung nach Wien darf sie also in Graz bleiben, kann mit dem an der Polizeifachhochschule erworbenen Bakkalaureat derzeit aber genauso wenig anfangen, wie mit ihrem abgeschlossenen Geschichtsstudium.
Oft ist sie so deprimiert, dass sie am liebsten alles hinschmeißen würde. Was sie dann immer wieder rettet, ist die Freude an historischen Büchern. Während der letzten zwei Jahre hat sie wenig Zeit dafür gefunden, aber jetzt schmökert sie endlich wieder. Lächelnd greift sie nach dem dicken Wälzer, der sich mit dem Frieden von Hubertusburg befasst. Der Preußenkönig Friedrich II. gewann Schlesien und stieg mit seinem Königreich zur europäischen Großmacht auf. Dem außenpolitischen Triumph folgten bedeutende innenpolitische Reformen. Damit war aus einem vielfach unterschätzten Kronprinzen einer der bedeutendsten Preußenkönige geworden.
Oft schaffen gerade die, denen man gar nichts zutraut, etwas ganz Besonderes, konstatiert Ulla.
Eine Erkenntnis, die ihr Mut macht.
***
Fünf Tage später in Leoben.
Ein kalter Donnerstag, an dem es gerade genug schneit, um auf den Straßen für Chaos zu sorgen.
Akademische Damenverbindungen sind eine Rarität. Immer noch. Gerade deshalb trachten die jungen Damen des Corps Glut danach, es in Allem ihren männlichen Vorbildern, die in der Bergstadt , den Hammerherren , Ferrio und dergleichen organisiert sind, möglichst gleichzutun.
Das zeigt ihr Dresscode. Die meisten Damen tragen die schwarze Bergmannsuniform oder die Kleidung der Chargierten mit schwarzer Jacke, weißen Hosen und hohen Stiefeln. Nicht zu vergessen die Schärpen in den Farben der Verbindung. Dem Ritus gemäß diagonal von der Schulter bis zur Hüfte. Und sie trinken Bier. Manche von ihnen nicht zu knapp. Bei den Treffen in ihrem Vereinslokal oder ihrem Stammwirtshaus sind auch die Kameraden der männlichen Verbindungen willkommen. Deshalb ist die Hütte meist gerammelt voll. So auch heute.
Gleich nach der Eröffnungsrede der Obfrau hält ein Gastreferent einen kurzen Vortrag über Jugend und Brauchtumspflege. Das war es dann aber auch schon mit dem offiziellen Teil des Abends. Begeistert singen sie die alten Lieder und wetteifern mit den Burschen beim
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