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Rosentod: Thriller (German Edition)

Rosentod: Thriller (German Edition)

Titel: Rosentod: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Peter Vertacnik
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einmal eine lebenswerte Stadt.
    Ist schon ganz schön lange her.
    Schneereste auf dem Boden. Dieser Jänner ist wärmer als der im letzten Jahr. Trotzdem frieren die meisten Trauergäste. Vor allem die älteren unter ihnen können ein Bibbern nicht unterdrücken. Zitternde Hände. Rote Gesichter. Tropfende Nasen.
    Traurig ist das alles, denkt sich die langbeinige, sportliche Polizistin mit dem nackenlangen, dunklen Schopf. Sie strafft ihre hängenden Schultern, holt das Taschentuch aus der rechten Außentasche ihres schwarzen Mantels und trocknet zum wiederholten Mal ihre Tränen. Vater hat langes Haar gemocht. Deshalb hat sie es sich vor der Beerdigung auch noch rasch kürzen lassen. Sie will nicht den Anschein erwecken, ihm etwas nachzusehen, bloß weil er gestorben ist. Für einen, der wegen seiner Sekretärin Frau und Kind im Stich gelassen hat, gibt es kein Pardon. Nicht einmal posthum.
    Trotzdem wäre ihr wohler, wenn sie ihm beim letzten Telefonat länger zugehört hätte. Auch wenn sie sich keiner Schuld bewusst ist. Seinen Schlaganfall konnte sie nicht vorausahnen. Schließlich ist sie ja keine Hellseherin.
    Der Werksleiter spricht immer noch. In einem Tonfall, als wolle er einer Gruppe von Gastronomen eine neue Biersorte schmackhaft machen. Je länger er mit seinem Gefasel ihre Nerven traktiert, desto mehr Unmut macht sich in Ulla breit.
    Die Kriminalbeamtin hält sich ein wenig abseits. In Schlagdistanz zu ihr stehen nur Tante, Onkel und die beiden Neffen. Auf dem Platz, der eigentlich ihrer Mutter zustünde, heult Vaters zweite Frau, den kleinen Lukas an der Hand. Daneben stehen ihre Verwandten. Für Ulla sind das fremde Leute.
    Links vom offenen Grab eine Abordnung ehemaliger Arbeitskollegen des Verstorbenen. Davor der Pfarrer, die Ministranten und das Kreuz. Der Direktor hat jetzt seine Rede durch, und die Werksmusik spielt. Dann, endlich, Ruhe.
    Am seltsam verkrümmten Boden der Sarg mit einem Bukett aus roten Rosen. Still tritt Ulla vor, hält einen Moment inne und legt ihre weißen Rosen dazu. Auf der Schleife ein Satz, den sie zu seinen Lebzeiten nicht über die Lippen gebracht hätte.
    ‘ In Liebe. Deine Tochter .’
    Schnell noch ein Gebet. Es hat entfernte Ähnlichkeit mit einem Kinderreim. Kaum ist Ulla fertig, treten die blassen Herren der Bestattung vor und bringen den Sarg unter die Erde.
    Gemessenen Schritts stolziert der Brauereidirektor zur Witwe und kondoliert. Dann reicht er der Tochter des Verstorbenen die Hand. Vater habe oft von ihr gesprochen, behauptet er. Am liebsten würde ihm Ulla eine knallen für diese Lüge. Nach und nach bekunden ihr jetzt alle der fast 200 Trauergäste ihr Beileid. Das ist so üblich im Ruhrpott.
    „Du bleibst doch zum Essen?“
    Carola, die Zweitfrau.
    Offenbar ist sie der Meinung, es gehöre sich, ihr das anzubieten. Sie ist so viel jünger als Mutter, fällt Ulla schmerzlich auf. Zerbrechlicher. Und viel hübscher. Diese warmen, nun ziemlich verweinten dunklen Augen. Das fein geschnittene, ebenmäßige Gesicht mit Stupsnase, umrahmt von honigfarbenen, schulterlangen, duftenden Locken. Kein Wunder, dass Vater da schwach geworden war. Männer sind eben triebgesteuert. Das ist ja hinlänglich bekannt.
    „Mein Zug fährt in einer Stunde“, wehrt Ulla brüsk ab.
    Lukas wirft ihr einen erschrockenen Blick zu. Er ist erst sechs, aber er begreift schon, was da zwischen der Halbschwester und seiner Mama abläuft.
    Dass sie am gemeinsamen Mahl mit der Verwandtschaft nicht teilnimmt, ist ein Affront, raunt ihr die einzige Schwester des Vaters beim Verlassen des Friedhofs zu. Ein Fressen für die Tratschmäuler. Und eine Undankbarkeit. Wo sie doch ein Drittel des Nachlasses erbt. Immerhin.
    Ullas erster Gedanke: Zunge rausstrecken. Hat sie ja früher auch oft gemacht. Aber jetzt? Als Erwachsene? Mit finsterem Blick ruft sie sich selbst zur Ordnung. Immerhin ist sie Polizistin. Von Angehörigen dieses Berufstands wird Benehmen erwartet. Anstand. Sie wird hier nicht aus der Rolle fallen.
    Vor dem Friedhof das übliche hektische Treiben. Nervös winkt die Kriminalbeamtin ein Taxi herbei und hält den Blick gesenkt, bis sie in den Mercedes steigt.
    Durch die Scheibe sieht sie Carola und Lukas mit versteinerten Gesichtern am Straßenrand stehen, bis ihr Wagen an der nächste Kreuzung abbiegt.
    Schon wieder flieht Ulla aus der Stadt ihrer Kindheit.
    Diesmal vielleicht für immer.
    ***
    Eine Woche später im Bundesland Steiermark, einer der südlich gelegenen Gegenden

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