Rosentod: Thriller (German Edition)
Friedrich II. hat sie schon durchgearbeitet. Jetzt freut sie sich auf das Buch über Preußens Bündnis mit dem napoleonischen Frankreich im Jahr 1805. Die Geschichte eines Irrtums. Eines Desasters, das die Hohenzollern teuer zu stehen kam. Falsche Entscheidungen, sinniert Ulla, falsche Entscheidungen haben meist bittere Konsequenzen. Für Staaten. Für den Einzelnen. Da ist man gut beraten, vorher alle Für und Wider gut abzuwägen. Nichts zu überhasten. Eine der gefährlichsten Fehlerquellen ist diese verdammte Eile.
Das Telefon klingelt. Ihre Mutter.
„Wie geht es dir?“
„Beschissen.“
„Weil man dir die Beförderung verwehrt? Dich erpresst?“
„Genau.“
„Lass dir das nur nicht bieten“, rät ihr die Mama. „Für Fälle dieser Art gibt es die Personalvertretung. Die ist dazu da, einer ungerecht behandelten Beamtin an die Hand zu gehen.“
„Ich hab es nicht so mit der Politik“, wehrt Ulla ab. „Personalvertreter sind nun einmal politisch. Im Grunde vertreten die sich ja bloß selbst. Zumindest vorrangig. Also kann ich mir diesen Schritt gut und gern ersparen.“
Ihre Mutter ist anderer Ansicht.
„Ich kann zwar immer noch nicht verstehen, was du bei der Polizei zu suchen hast, aber wenn dir Unrecht geschieht, musst du dich wehren“, sagt sie. „Mit einer Vorsprache bei der Innenministerin zum Beispiel. Die soll dir einen Job besorgen. Eine Aufgabe in der Steiermark. Schließlich lebst du ja hier!“
„Alles klar, Mama“, lenkt Ulla ein. „Ich muss jetzt aufhören. Tut mir leid.“
Genervt legt sie auf. Sich aktiv um eine Planstelle bemühen. Intervenieren. Das hat etwas von einem Bittgang. Das schmeckt ihr nicht. Man soll ihr etwas anbieten, zum Teufel. Sie hat es sich verdient. Mehr als viele andere, die an den Schalthebeln des Kriminaldienstes sitzen und von der Praxis keine Ahnung haben.
„Die Ministerin“, blafft Ulla und legt ihre schlanken Beine auf den Schreibtisch. „Pah. Die kann mich mal.“ Störrisch vertieft sie sich ins neue Buch, aber es gelingt ihr nicht, sich auf den Text zu konzentrieren. Das Telefonat mit ihrer Mutter geht ihr nicht mehr aus dem Sinn. Eigentlich hasst sie deren gute Ratschläge, aber je länger sie darüber nachdenkt, umso mehr reizt sie plötzlich der Gedanke, etwas zu unternehmen, auszubrechen aus dieser verhassten Lethargie.
Sie war doch so gern Kriminalbeamtin. Und eine gute dazu.
Wenn das so weitergeht, versumpft sie. Dann verbummelt sie ihr Leben.
Verbittert ruft sie den Stadtpolizeikommandanten an, ersucht um einen Gesprächstermin und bekommt ihn auch.
Die Möglichkeiten, die ihr der Mann eine Stunde später aufzeigt, sind nicht gerade berauschend. Will sie in diesem Bundesland bleiben, ist es mit einem Job als Leitende Beamtin Essig, stellt er noch einmal klar. Das Ministerium will es so. Angeblich.
Bliebe nur noch die Stadt Leoben. Dort wäre sie zwar weg vom Schuss, aber das sei ja kein Fehler. Zugegeben, die Kripo in der Obersteiermark sei noch ein reiner Männerverein und die Position der stellvertretenden Kripochefin an diesem Standort berge Risiken, aber mehr könne er im Augenblick nicht für sie tun. Falls sie das Angebot akzeptiere, dürfe sie mit der Beförderung zur Chefinspektorin rechnen, dem höchsten Dienstgrad der mittleren Führungsebene. Immerhin.
Ulla überlegt. Der Job brächte etwa 400 Kröten mehr im Monat. Könnte sie gut gebrauchen.
Und die Nachteile?
Sie will nicht weg aus Graz. Zudem wäre das hierarchische Gefüge dieser Abteilung zerstört. Aus ihrer Schuld. Das hieße Widerstand, jede Menge Neid und Missgunst. Soll sie sich das antun?
Aber hat sie denn die Wahl?
Er erwarte ihre Entscheidung, drängt der Brigadier, um gleich darauf eine Warnung abzufeuern. In der zweitgrößten Stadt der Steiermark sei die Beamtenschaft schwierig. Es könne durchaus sein, dass sie ihren angegriffenen Nerven dort zu viel zumute.
„Ich denke darüber nach“, erwidert sie und tritt den geordneten Rückzug an.
Kaum in ihrem Büro angekommen, ist sie aber so unruhig, dass sie nicht mehr ruhig sitzen kann. Was tun? Dableiben und abwarten, rät eine Stimme in ihr, gefolgt von einer zweiten, die meint, es sei höchste Zeit, Graz zu verlassen. Endlich loszuziehen. Weg aus der Reichweite ihrer Mutter. Ginge sie jetzt fort, wäre das ein erster Schritt. So etwas wie eine Abnabelung. Eine unumkehrbare Aktion. Hat sie die Kraft, das durchzuziehen? Ulla schluckt. Die Knie werden ihr weich. An Veränderungen zu denken ist
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