Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rosenwahn

Titel: Rosenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
zog sich dieser Zustand schon mindestens fünf Jahre lang hin. Vielleicht zwei, drei Mal hatte sie jemanden nebenan gesehen. Es war meist eine ältere Frau gewesen, die im Haus und auf dem Grundstück einfach nur nach dem Rechten zu sehen schien.
    »Das ist so schade. Da drüben verfällt alles und der Garten verwildert. Die ganzen Unkräuter, die sich dort angesiedelt haben, machen natürlich vor meinem Zaun nicht halt, und ich habe eine Menge Mehrarbeit damit. Übrigens war auch mein Häuschen über ein Jahr unbewohnt. Aber nicht wegen einer Erbstreiterei, sondern weil es für seine bescheidene Größe ziemlich teuer und außerdem in einem ausgesprochen schlechten Zustand war. Ich habe bestimmt das Doppelte des Kaufpreises noch einmal für die Renovierung ausgegeben. Aber es hat sich gelohnt. Ich will hier nicht mehr weg. Obwohl, nach dieser Entdeckung jetzt …«

     
    »Ein Nazar «, sagte Niemann bloß, nach einem Blick auf das Foto der Kette mit dem blauen Anhänger, das Angermüller ihm auf den Schreibtisch gelegt hatte.
    »Hä?«, machte Jansen, der daneben stand, »nix verstehen.« Und auch Angermüller schaute etwas ratlos.
    Thomas Niemann genoss das Erstaunen der beiden Kollegen. Allgemein wurde er in der Lübecker Bezirkskriminalinspektion nur ›der Schreibtischtäter‹ genannt, denn sein bevorzugter Arbeitsplatz war nun mal sein Schreibtisch. Waren die anderen draußen unterwegs, Zeugen befragen, Spuren verfolgen, so war er der Meister der Recherche, ob am Computer oder im Sichten von Akten, und er besaß ein phänomenales Gedächtnis.
    »Tscha, man merkt, dass ihr noch nie Urlaub in der Türkei gemacht habt, Kollegen. Dann würdet ihr nämlich wissen, dass dieser Anhänger auch ›Fatimas Auge‹ genannt wird. Überall, auf Märkten und in Souvenirläden, kann man das da kaufen. In allen möglichen Größen.«
    »Und wat soll dat?«, fragte Jansen.
    »Fatimas Auge soll gegen den bösen Blick helfen. Die Leute tragen das als Schlüsselanhänger bei sich oder bringen es in ihrer Wohnung gegenüber der Eingangstür an. Ich hab die Dinger auch in Taxen hängen sehen, sogar mal in einem Kinderwagen. Ist halt so eine Art Talisman. Und natürlich wird es als Schmuck angeboten. Meine Frau musste sich letztes Jahr in Bodrum unbedingt auch so eine Kette kaufen.«
    »Da sieht man wieder, dass Reisen doch bildet. Klasse, Thomas«, meinte Angermüller. »Dann haben wir jetzt ja immerhin einen Anhaltspunkt.«
    »Worum geht’s denn überhaupt?«
    Angermüller gab Niemann eine kurze Zusammenfassung über den Skelettfund bei Eutin.
    »Die Rechtsmedizin kümmert sich um die Knochen, aber wir wissen noch nicht, wie lange die für die Untersuchung brauchen. Dieser Anhänger beweist aber zumindest, dass es sich nicht um einen Pesttoten aus dem Mittelalter handelt.«
    »Aber dass es jemand aus der Türkei ist, muss das auch nicht heißen. Wie gesagt, meine Frau hat auch so ’n Ding.«
    »Wie geht’s der eigentlich, was macht die so?«, wollte Jansen wissen. »Wurde die in den letzten Wochen noch lebend gesehen?«
    »Jansen, alter Spinner«, grinste Niemann nur und rollte hinüber zu seinem Rechner. »Wie lange, sagtest du, stand die alte Hütte am See leer?«
    »Ungefähr fünf Jahre«, antwortete Angermüller.
    »Na gut, dann werd ich jetzt gleich bei der DASTA in Kiel anfragen. Die sollen als Erstes die letzten zehn Jahre der Datei für Vermisste und unbekannte Tote durchforsten, alles was es hier in der Region so an abgängigen Personen gibt und ob da zufällig schon was Passendes dabei ist. Vielleicht haben wir ja mal Glück.«

     
    Es war früher Abend, als Georg Angermüller seinen Arbeitsplatz im siebten Stock des Behördenhochhauses an der Possehlstraße verließ. Mit dem Fahrrad fuhr er am Wasser des St.-Jürgen-Hafens entlang und über den Mühlendamm in Richtung Altstadt. Der Fahrtwind war mild und die Bewegung tat ihm spürbar gut. Nachdem ihn der Arzt beim letzten Gesundheits-Check vorsichtig darauf hingewiesen hatte, dass sich sein über den Winter erneut angestiegenes Gewicht zu einem Problem für seine Gesundheit entwickeln könnte, wenn er dem nicht gegensteuerte, hatte er sich fest vorgenommen, es nicht so weit kommen zu lassen. So nutzte er jede Gelegenheit, mit dem Rad zu fahren oder zu Fuß zu gehen. Er versuchte auch, sich beim Essen zu mäßigen, doch das war die ungleich schwierigere Übung für ihn.
    Das Wissen darum, keinen Termin zu haben, von niemandem zu Hause erwartet zu werden, keine

Weitere Kostenlose Bücher