Rosenwahn
Küche, aber auch wenn ich in Istanbul geboren bin: Seit fast 40 Jahren ist Lübeck meine Heimat. Deryas Köstlichkeiten liefert alles, was es rund ums Mittelmeer gibt, von Frankreich bis Ägypten, aber genauso ein Berliner Büffet oder ein schleswig-holsteinisches Fischeressen. ›Deryas Köstlichkeiten liefert Feines aus den Küchen dieser Welt‹ heißt mein Werbespruch.«
»Das hört sich gut an.«
»Ja, find ich auch. Aber ich sabbel und sabbel! Jetzt möchte ich mal was über dich hören!«
»Tja, was willst du denn wissen?«
»Na ja, zum Beispiel etwas über deinen Migrationshintergrund: Dass du kein Norddeutscher bist, höre ich doch sofort!«
»Ach ja? Und ich dachte immer, nach so vielen Jahren …«
»Wie lange bist du denn schon in Lübeck?«
»Gut 15 Jahre sind es jetzt schon.«
»Ich finde deinen Akzent ausgesprochen charmant. Du kommst aus Bayern, nicht?«
»Ich bin in Oberfranken geboren und aufgewachsen. Und dass wir zu Bayern gehören, stimmt zwar, hören wir Franken aber nicht so gern.«
»Franken? Kenn ich, kenn ich! Würzburg, Nürnberg und so.«
»Würzburg gehört zu Unterfranken, Nürnberg ist in Mittelfranken und ich komm aus einem kleinen Dorf bei Coburg. Das ist in Oberfranken.«
»Das kann ich mir jetzt bestimmt nicht alles merken. Also Coburg. Und wie war’s da so?«
»Ach, ich hab eigentlich ganz gern dort gelebt. Ein hübsches altes Städtchen in einer schönen Landschaft, viele Schlösser und Parks rundherum. Und die Leute haben so ein gelassenes, freundliches Wesen, die meisten jedenfalls. Und was natürlich ganz wichtig ist: die fränkische Küche und nicht zu vergessen das Bier und der Frankenwein!«
»Das hört sich ja alles klasse an. Warum bist du überhaupt dort weggegangen?«, wunderte sich Derya.
Kurz überlegte Georg, ob er den Hauptgrund für sein Bleiben in Lübeck damals nennen sollte. Mit Sicherheit wären dann aber Nachfragen nach Astrid und den Kindern gefolgt, wo sie denn wären und was seine Frau dazu sagte, dass er für ein paar Wochen einfach so allein in Steffens Haus wohnte. Das ganze Thema war ihm zu heikel und er hatte keine Lust, jetzt seine persönliche Situation zu erklären, schon gar nicht einer fremden Frau. Auch wenn sie ihm bereits erstaunlich vertraut schien, hatte er Derya schließlich erst heute Morgen kennengelernt. Er kam sich zwar ein wenig unaufrichtig vor, entschied sich aber trotzdem dagegen, Astrid zu erwähnen.
»Tja, ich hab ein Praktikum hier bei der Bezirkskriminalinspektion gemacht, das war noch während meines Jurastudiums, und zuerst war es vor allem der Job, der mir gut gefallen hat, so interessant und abwechslungsreich. Auch die Kollegen waren nett, Lübeck fand ich gut, das hat irgendwie eine witzige Atmosphäre, so zwischen Groß- und Kleinstadt. Und natürlich ist auch die Umgebung nicht zu verachten, die Ostsee, die Holsteinische Schweiz. Als dann hier eine Stelle frei wurde, hab ich mich beworben und sie tatsächlich auch bekommen. Inzwischen bin ich schon seit 15 Jahren hier oben.«
»Und fehlt dir deine alte Heimat gar nicht?«
»Vielleicht die Klöße und das Bier«, sinnierte Angermüller. »Aber ich hab sowieso das Gefühl, dass mir immer der Ort verheißungsvoll erscheint, an dem ich gerade nicht bin. Eigenartig, oder?«
»Find ich gar nicht! Mir geht das immer so mit Istanbul. Es erscheint mir wie die tollste, aufregendste Stadt der Welt, wenn ich hier daran denke, ein flirrender, pulsierender Traum. Aber kaum bin ich dort, sehne ich mich nach der Ruhe und Beschaulichkeit in meinem braven, deutschen Norden.«
»Der is halt olber, der Mensch, würde meine Mutter jetzt sagen.«
»Der Mensch ist komisch, heißt das?«
Angermüller nickte.
»Recht hat deine Mama.«
Sie schwiegen einen Moment. Derya spielte mit dem Anhänger ihrer Kette, die sie um den Hals trug. Angermüller schaute etwas genauer hin.
»Ist das ein Nazar , was du da an deiner Kette hast?«
»Stimmt. Nazar Boncu ğ u «, sagte Derya erstaunt und hielt die Perle mit den unterschiedlichen Blautönen so, dass Georg sie besser sehen konnte.
» Nazar heißt böser Blick und Nazar Boncu ğ u ist die blaue Perle gegen den bösen Blick, Fatimas Auge sagen manche auch. Woher kennst du das? Bist du schon mal in der Türkei gewesen?«
»Nein, den Ausdruck hab ich von einem Kollegen, der neulich erst in Bodrum Urlaub gemacht hat.«
»Die Kette hat mir meine Mutter gegeben. Sie hat diese blauen Dinger in allen Größen bei sich zu Hause und
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