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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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ist es ein hoher Vorzug! Zudem verfügt sie, wenn sie will, über eine Mischung von Geist, Charakter und Schlagfertigkeit, die ihre Liebenswürdigkeit ideal macht...«
    Da es schwer ist, zweierlei auf einmal zu tun, antwortete der Marquis mit leerem Gesichtsausdruck, als ob er eine Lektion hersagte: »Wer kennt den armen Altamira nicht?«
    Und er erzählte ihr die Geschichte seiner verfehlten, lächerlichen, unsinnigen Verschwörung.
    »Höchst unsinnig!« sagte Mathilde, wie zu sich selber sprechend. »Aber er ist doch ein Tatenmensch. Ich will einen Mann sehen. Bringen Sie ihn mir her!« bat sie den ganz erschrockenen Marquis.
    Graf Altamira war einer der erklärten Bewunderer der hochfahrenden und fast anmaßlichen Miene des Fräuleins von La Mole. In seinen Augen war sie eine der größten Schönheiten von Paris.
    »Wie schön wäre sie auf einem Throne!« sagte er zu Croisenois und ließ sich ohne Zögern zu ihr führen.
    Es fehlt nicht an Leuten in der Gesellschaft, denen nichts für inkorrekter gilt als eine moderne Verschwörung. Das riecht nach Jakobinertum. Und was gibt es Häßlicheres als einen Jakobiner ohne Erfolg?
    Mathilde und Croisenois sahen sich an, beide etwas Spott in den Augen. Gleichwohl hörte sie den Grafen, dem er galt, vergnügt an.
    »Ein Verschwörer auf dem Ball!« dachte sie. »Das ist ein netter Widerspruch.«
    Es kam ihr vor, als habe Altamira mit seinem schwarzen Schnurrbart das Gesicht eines friedlichen Löwen; aber sie merkte bald, daß sein Geist an Einseitigkeit litt: am Kult der Nützlichkeit.
    Außer der Bewegung, die seiner Heimat eine Verfassung schaffen wollte, fand der junge Graf nichts seiner Aufmerksamkeit würdig. Und so verließ er Mathilde, die schönste Dame des Balles, mit Freuden, als er einen peruanischen General eintreten sah. Da er an Europa im Metternichschen Zustande verzweifelte, blieb dem armen Altamira nichts als die Hoffnung, daß die südamerikanischen Staaten, sobald sie stark und mächtig geworden, Europa die Freiheit wiederbringen könnten, zu der ihnen Mirabeau verholfen hat 33 .
    Ein Schwarm junger Herren hatte sich Mathilden genähert. Es war ihr nicht entgangen, daß sie Altamira nicht bezaubert hatte, und so war sie über seinen Weggang verstimmt. Jetzt, als er mit dem exotischen General sprach, sah sie seine schwarzen Augen leuchten. Da schaute sie sich die jungen Franzosen mit tiefem Ernst an, wie ihn ihr keine Nebenbuhlerin nachahmen konnte. »Wer unter ihnen«, dachte sie, »möchte sich zum Tode verurteilen lassen, selbst wenn sich ihm die beste Gelegenheit dazu darböte?«
    Ihr eigentümlicher Blick schmeichelte solchen, die wenig Geist hatten, und beunruhigte die andern. Sie befürchteten immer irgendeine urplötzliche scharfe Bemerkung, der sie schwerlich gewachsen waren.
    »Hohe Geburt bringt hundert Eigenschaften mit sich, deren Nichtvorhandensein mir unerträglich ist. Ich sehe es an Julian«, dachte Mathilde. »Aber hinwiederum verkümmert sie alle die seelischen Eigenschaften, um derentwillen man zum Tode verurteilt werden kann.«
    In dem Augenblick sagte jemand neben ihr: »Graf Altamira ist der zweite Sohn des Fürsten von San Nazaro-Pimentel. Ein Pimentel versuchte die Rettung Konradins, der 1268 enthauptet worden ist. Die Pimentels sind eine der vornehmsten Familien Neapels.«
    »Schau! schau!« sagte sich Mathilde im stillen. »Ein schöner Beweis für meine Behauptung, hohe Geburt nähme dem Charakter die Energie, ohne die man nicht zum Tode verurteilt werden kann! Offenbar ist es heute abend mein Schicksal, dummes Zeug zu reden... Seien wir Weib und tanzen wir!«
    Sie gab der Werbung des Marquis von Croisenois nach, der sie seit einer Stunde um einen Galopp bat. Um sich über ihr Mißglück in der Philosophie zu trösten, nahm sie sich vor, als Weib unwiderstehlich zu sein. Croisenois war entzückt.
    Aber weder der Tanz noch der Wunsch, einem der hübschesten Kavaliere zu gefallen, konnte Mathilde zerstreuen. Ihr Triumph war vollkommen: sie war die Königin des Balles. Sie wußte es, aber sie blieb kalt.
    »Was für ein schales Leben werde ich mit einem Manne wie Croisenois führen!« sagte sie sich, als er sie eine Stunde später auf ihren Platz zurückgeleitete. »Wo könnte ich nach den sechs Monaten meiner Abwesenheit ein Vergnügen finden«, seufzte sie niedergeschlagen, »wenn nicht auf dem Balle, der den Ehrgeiz aller Pariserinnen reizt! Zudem werde ich von einer Gesellschaft, wie ich sie mir nicht vornehmer wünschen

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