Rot und Schwarz
stolz-demütigem Ausdruck. Sichtlich wollte er sagen: »Ich werde bezahlt, um Ihnen Rede und Antwort zu stehen, und ich lebe von meinem Gehalte.« Er würdigte Mathilde keines Blickes. Sie stand mit ihren schönen weitgeöffneten Augen, die auf ihm ruhten, wie eine Sklavin vor ihm. Endlich, als das Schweigen kein Ende nahm, blickte er sie an, wie ein Knecht seinen Herrn anblickt, um dessen Befehle entgegenzunehmen. Seine Augen begegneten dem vollen Blick Mathildens, der immer noch mit seltsamem Ausdruck auf ihm lag. Trotzdem entfernte er sich von ihr mit merkbarer Eile.
»Er, der wirklich schön ist«, sagte sich Mathilde, als sie endlich aus ihrer Träumerei erwachte, »er singt solch ein Loblied auf die Häßlichkeit! Niemals zieht er seine eigne Person in Betracht. Er ist nicht wie Caylus oder Croisenois. Dieser Sorel hat etwas von der Art und Weise meines Vaters, wenn er Napoleon auf dem Balle so schön nachmacht.« Sie hatte Danton ganz und gar vergessen. »Heute abend langweile ich mich entschieden!« Sie ergriff den Arm ihres Bruders und zwang ihn zu seinem großen Kummer, mit ihr einen Rundgang durch den Saal zu machen. Sie hatte den Einfall, Julians Unterhaltung mit dem zum Tode Verurteilten zu verfolgen.
Das Gedränge war überaus groß. Dennoch gelang es ihr, die beiden einzuholen, gerade als Altamira zwei Schritte vor ihr an eine Kredenz trat, um sich Eis zu nehmen. Halb umgewandt sprach er mit Julian weiter. Da erblickte er einen betreßten Arm, der sich Eis von derselben Stelle nahm. Die Stickerei erregte offenbar seine Aufmerksamkeit, denn er drehte sich ganz um, in der Absicht, die Person zu sehen, die zu dem Ärmel gehörte. Alsbald nahmen seine edlen treuherzigen Augen einen etwas verächtlichen Ausdruck an.
»Sehen Sie diesen Herrn«, sagte er ziemlich leise zu Julian, »das ist der Fürst von Araceli, der sardinische Gesandte. Heute vormittag hat er Ihren Minister des Auswärtigen, Herrn von Nerval, um meine Auslieferung gebeten. Dort drüben sitzt er und spielt Whist. Herr von Nerval ist nicht abgeneigt, mich auszuliefern, denn wir haben euch Franzosen Anno 1816 auch zwei oder drei Verschwörer ausgeliefert. Wenn man mich meinem König überliefert, so werde ich binnen vierundzwanzig Stunden gehenkt. Einer von den netten schnurrbärtigen Herren da wird mich festnehmen...«
»Die Schufte!« rief Julian halblaut.
Mathilde hatte keine Silbe des Gespräches verloren. Ihre Langeweile war verflogen.
»Schufte nicht gerade ...« erwiderte Altamira. »Ich habe Ihnen von mir erzählt, um Ihnen ein lebhaftes Bild zu geben. Sehen Sie sich einmal den Fürsten näher an! Aller fünf Minuten liebäugelt er mit seinem Goldnen Vlies. Er freut sich immer wieder von neuem, daß er diesen Firlefanz auf seiner Brust trägt. Im Grunde ist der arme Mensch ein leibhafter Anachronismus. Vor hundert Jahren war das Goldne Vlies eine hohe Auszeichnung, aber damals hätte er es sicher nicht gekriegt. Heutzutage muß man unter wirklichen Aristokraten ein Araceli sein, um sich über den Orden zu freuen. Er hätte die Bürgerschaft einer ganzen Stadt an den Galgen knüpfen lassen, um ihn zu bekommen.«
»Hat er ihn um einen solchen Preis erlangt?« fragte Julian beklommen.
»Wohl nicht!« antwortete Altamira kühl. »Vermutlich hat er etliche dreißig Großgrundbesitzer seines Landes, die für Liberale galten, ins Wasser werfen lassen...«
»So eine Bestie!« unterbrach ihn Julian.
Fräulein von La Mole neigte ihren Kopf mit dem lebhaftesten Interesse vor, so daß ihr schönes Haar fast Julians Schulter streifte.
»Sie sind noch sehr jung!« meinte Altamira. »Ich habe Ihnen schon einmal erzählt, daß ich eine verheiratete Schwester in der Provence habe. Sie ist noch hübsch, jung und sanft, eine ausgezeichnete Familienmutter, pflichttreu und fromm, doch nicht bigott.«
»Wo will er hinaus?« dachte Fräulein von La Mole bei sich,
»Eine glückliche Natur!« fuhr Graf Altamira fort. »Im Jahre 1815 hielt ich mich auf ihrem Gute bei Antibes verborgen. In dem Augenblick, wo sie die Hinrichtung des Marschalls Ney erfuhr, fing sie an zu tanzen.«
»Wie ist das möglich?« rief Julian bestürzt.
»Das ist die Parteiwut!« erklärte Altamira. »Im neunzehnten Jahrhundert gibt es keine wirklichen Leidenschaften mehr. Darum langweilt man sich in Frankreich so. Man begeht die größten Grausamkeiten, doch ohne Grausamkeit.«
»Das ist das Allerschlimmste!« sagte Julian. »Wenn man schon Verbrechen begeht, so soll man
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