Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
Vom Netzwerk:
undurchdringlich. Mathilde war einen Moment voller Begeisterung gewesen; die Kälte ihres Partners ernüchterte sie beträchtlich. Sie war um so mehr darüber erstaunt, als sie es sonst war, die diese Wirkung auf andre hervorbrachte.
    In diesem Augenblick kam der Marquis von Croisenois diensteifrig auf Mathilde zu. Er stand eine kleine Weile drei Schritte vor ihr, ohne durch die Menge dringen zu können, und lächelte ihr über dieses Hindernis hinweg zu. Neben ihm stand die junge Marquise von Rouvroy, eine Base Mathildens, am Arm ihres Gatten, mit dem sie erst seit vierzehn Tagen verheiratet war. Der Marquis, gleichfalls sehr jung, war kindisch verliebt in seine Frau, just wie ein Mann, der eine von Notaren zustande gebrachte Konvenienzheirat eingegangen ist und eine idealschöne Frau findet.
    Croisenois blickte Mathilde, da er nicht zu ihr gelangen konnte, lachend an, während sie ihre großen Türkisaugen auf ihm und dem neben ihm stehenden Paare ruhen ließ. »Was gibt es Faderes«, dachte sie, »als diese ganze Gruppe. Da ist Croisenois, der mich heiraten möchte; er ist sanft, höflich und hat die nämlichen tadellosen Manieren wie Rouvroy. Wenn diese Herren nicht so langweilig wären, so wären sie höchst liebenswert. Croisenois würde mit genau derselben beschränkten und zufriedenen Miene auf dem Balle an mir hängen. Ein Jahr nach der Heirat sind meine Equipage, meine Pferde, meine Toiletten, mein Schloß vor der Stadt so elegant wie nur möglich, sind der Inbegriff dessen, was eine Emporgekommene, die Gräfin von Roiville zum Beispiel, vor Neid platzen läßt. Und dann ... ?«
    Mathilde langweilte sich in der Aussicht auf ihre Zukunft. Endlich hatte sich der Marquis von Croisenois bis zu ihr durch die Menge gearbeitet und sprach sie an. Aber sie träumte und hörte ihn nicht. Der Klang seiner Stimme verlor sich für sie im Stimmengewirr des Balles. Mechanisch folgte sie Julian mit den Augen. Er hatte sich ehrerbietig, aber stolz und unzufrieden zurückgezogen. In einer Ecke, fern der wirbelnden Menge, erblickte sie den Grafen Altamira. Wie bereits erzählt, war er in seiner Heimat zum Tode verurteilt. Eine seiner Urgroßmütter hatte unter Ludwig XIV. einen Fürsten Conti geheiratet. Dieser Umstand schützte ihn einigermaßen vor den Nachstellungen der Jesuiten.
    »Ich sehe, nur ein Todesurteil zeichnet einen Mann wirklich aus«, dachte Mathilde. »Das ist das einzige, was sich nicht kaufen läßt. Übrigens eine gute Bemerkung, die ich mir da eben sage! Schade, daß sie mir nicht in einem Augenblick einfiel, wo ich damit hätte glänzen können!« Mathilde hatte zu viel Geschmack, um ein zurechtgemachtes Bonmot in ihre Plauderei einzuflechten, aber sie war zu eitel, um über ihren Einfall nicht entzückt zu sein. Ihre sichtlich gelangweilten Züge nahmen plötzlich einen glücklichen Ausdruck an. Der Marquis von Croisenois, der immer noch redete, wähnte darin den Erfolg seiner Worte zu erkennen und ließ den Strom seiner Worte noch mehr fluten.
    »Was könnte ein Böswilliger an meiner Bemerkung aussetzen?« dachte Mathilde. »Ich würde dem Krittler sagen: der Titel Baron oder Vicomte läßt sich kaufen. Orden sind leicht zu haben. Mein Bruder hat eben einen bekommen. Was hat er geleistet? Avancieren ist Zeitfrage. Zehn Dienstjahre oder den Kriegsminister zum Verwandten – und man ist Eskadronchef wie Norbert, Ein großes Vermögen ... Das ist noch das Schwierigste und folglich auch das Verdienstvollste. Drollig! Die Bücher sagen gerade das Gegenteil. Das heißt, es kann einer auch Millionär werden, wenn er ein Fräulein Rothschild heiratet. Wirklich, mein Witz ist tiefsinnig. Ein Todesurteil ist das einzige, worum sich noch keiner beworben hat.«
    »Kennen Sie den Grafen Altamira?« fragte sie Herrn von Croisenois.
    Sie machte einen so geistesabwesenden Eindruck, und diese Frage stand dermaßen außer Beziehung zu dem, was der arme Marquis seit fünf Minuten vortrug, daß seine Liebenswürdigkeit in Verblüffung umschlug. Er war doch ein kluger Mann und galt für einen solchen.
    »Mathilde hat ihre Eigenheiten«, dachte er. »Das ist unbequem, aber sie sichert ihrem Ehemanne die schönste gesellschaftliche Stellung! Ich weiß nicht, wie es der Marquis von La Mole anfängt: er hat Beziehungen zu den Führern aller Parteien. Er ist ein Mann, der nicht untergehen kann. Überdies kann Mathildens Eigenart für Genie gelten. Bei hoher Geburt und großem Vermögen ist Genie nichts Lächerliches. Dann

Weitere Kostenlose Bücher