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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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schnurrbärtiger junger Herr, dessen Schulter im Gewühle gegen Julians Brust gedrückt ward.
    Sein Nachbar antwortete dem Sprecher: »Fräulein Fourmont, den ganzen Winter die Schönste, begreift offenbar, daß sie auf den zweiten Platz verdrängt ist. Sieh nur ihre sonderbare Miene!«
    »Tatsächlich, sie gibt sich die allergrößte Mühe, Eindruck zu machen! Sieh bloß, dies holde Lächeln in dem Augenblick, wo sie im Contre allein tanzt. Auf Ehre, unbezahlbar!«
    »Fräulein von La Mole dagegen drückt ihre Freude über ihren unverkennbaren Triumph nach außen nieder. Es macht beinahe den Eindruck, als fürchte sie, dem zu gefallen, mit dem sie spricht.«
    »Sehr gut! Das ist die höhere Verführungskunst!«
    Julian machte vergebliche Anstrengungen, die Verführerische zu erblicken. Sechs oder acht Herren verdeckten sie ihm.
    »Keine üble Koketterie, diese vornehme Zurückhaltung!« sagte der junge Herr mit dem Schnurrbart.
    »Und diese großen blauen Augen, die sie so langsam niederschlägt, gerade wenn man glaubt, daß sie sich verraten werden«, erwiderte der Nachbar. »Wahrlich, größere Raffinerie gibt's nicht!«
    »Sieh nur, wie gewöhnlich die schöne Fourmont neben ihr aussieht!« bemerkte ein dritter.
    »Ihre zurückhaltende Miene bedeutet: Welche Liebenswürdigkeit würde ich entfalten, wenn du der Mann wärest, der meiner würdig ist!«
    »Und wer wäre der himmlischen Mathilde würdig?« sagte der erste. »Irgendein souveräner Fürst, schön, geistreich und wohlgestaltet, ein Held im Kriege und höchstens zwanzig Jahre alt.«
    »Der natürliche Sohn des russischen Zaren, oder aber – der Graf von Thaler, der Bauer im Frack!«
    Die Tür wurde frei; Julian konnte hindurchgehen.
    »Da sie in den Augen dieser Laffen für etwas so Besonderes gilt, ist es schon der Mühe wert, daß ich sie mir daraufhin einmal ansehe«, dachte er. »Ich werde dadurch lernen, was in den Augen dieser Leute Vollkommenheit ist.«
    Als er Mathilde mit den Augen suchte, sah sie ihn an. »Die Pflicht ruft!« sagte sich Julian, der zwar noch übellaunig aussah, es aber nicht mehr war. Die Neugier trieb ihn, und seine Lebensfreude ward durch Mathildens tief ausgeschnittenes Kleid noch erhöht. Für seine Eigenliebe war das allerdings wenig schmeichelhaft. »Wie jugendlich ist ihre Schönheit«, dachte er. Fünf oder sechs junge Herren, unter denen er die wiedererkannte, die vorhin an der Tür geplaudert hatten, standen zwischen ihm und ihr.
    »Sie sind den ganzen Winter hier in Paris gewesen, Herr Sorel. Sie können mir also gewiß sagen, ob dieser Ball der schönste der Saison ist?« fragte sie ihn.
    Julian gab keine Antwort. Sie fuhr fort: »Diese Quadrille kommt mir wundervoll vor. Die Damen tanzen sie tadellos.«
    Die jungen Herren drehten sich um, um zu sehen, wer der Glückliche sei, von dem Fräulein von La Mole durchaus eine Antwort haben wollte. Sie lautete wenig ermutigend.
    »Ich bin kein guter Beurteiler, gnädiges Fräulein. Ich bringe mein Leben am Schreibtisch zu, und dies ist der erste Ball von solcher Pracht, den ich sehe.«
    Die eleganten jungen Herren waren starr.
    »Sie sind ein Weltweiser, Herr Sorel!« erwiderte Mathilde mit sichtlich stärker werdendem Anteil. »Sie sehen alle Bälle, alle Festlichkeiten an wie ein Philosoph, wie Jean Jacques Rousseau. Die Narretei verwundert Sie, ohne Sie zu verlocken.«
    Der eben ausgesprochene Name raubte Julian alle Phantasie und verscheuchte alle Illusion aus seinem Herzen. Sein Mund nahm den Ausdruck stark übertriebener Geringschätzung an.
    »Jean Jacques Rousseau«, antwortete er, »ist in meinen Augen ein Tor, wenn er sich erkühnt, die große Welt zu verurteilen. Er hat sie nie verstanden, und er hat das Herz eines emporgekommenen Lakaien in sie getragen.«
    »Er hat den Gesellschaftsvertrag geschrieben«, erwiderte Mathilde im Tone der Verehrung.
    »Er hat die Republik und den Umsturz aller monarchischen Einrichtungen gepredigt. Und dabei war dieser Emporkömmling toll vor Freude, als ein Herzog das Ziel seiner Nachmittagspromenade änderte, um einen seiner Freunde zu begleiten.«
    »Ach ja, der Herzog von Luxemburg begleitete in Montmorency einen simplen Herrn Coindet in der Richtung nach Paris«, ergänzte Fräulein von La Mole mit der ganzen Wonne und Andacht jugendlicher Schulgelehrsamkeit. Sie war glückselig vor Freude über ihr Wissen, ungefähr wie jener Akademiker, der die Existenz des Königs Feretrius entdeckte. Julians Augen blieben streng und

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