Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
Vom Netzwerk:
Zugegen waren Caylus, Croisenois, Luz und einer ihrer Freunde. Alle kamen sie Julian eisig vor. Da entfernte er sich wieder.

----

Dreizehntes Kapitel
Ein Komplott
Unzusammenhängende Äußerungen, zufällig zustande gekommene Ereignisse verwandeln sich in schlagkräftige Beweise in den Augen eines phantasiebegabten Menschen, wenn er ein einigermaßen feuriges Herz besitzt.
    Schiller
    A m nächsten Tage überraschte Julian den Grafen Norbert und seine Schwester abermals, wie sie gerade von ihm sprachen. Bei seinem Erscheinen trat das nämliche Todesschweigen ein wie am Abend zuvor. Nunmehr war er grenzenlos mißtrauisch. »Sollten sich die sonst so liebenswürdigen jungen Menschen vorgenommen haben, mich lächerlich zu machen?« fragte sich Julian. »Ich muß gestehen, daß dies viel wahrscheinlicher und viel natürlicher wäre als die vermeintliche Leidenschaft des Fräuleins von La Mole für einen armen Schelm von Sekretär. Gibt es in diesen Leuten überhaupt Leidenschaften? Ist ihr Hauptvergnügen nicht vielmehr Spiel und Spott? Sie gönnen mir meine armselige theoretische Überlegenheit nicht. Eifersucht ist eine ihrer Schwächen. So erklärt sich alles. Fräulein von La Mole will mir einreden, daß sie mich gern habe, ganz einfach, um ihren Zukünftigen durch eine kleine Komödie zu belustigen ...«
    Dieser qualvolle Verdacht änderte Julians inneren Zustand bis in den Grund und zerstörte mit Leichtigkeit die in seinem Herzen keimende Liebe. Sie verdankte ihre Lebenskraft lediglich Mathildens seltener Schönheit oder, genauer gesagt, ihrem hoheitsvollen Wesen und der erlesenen Art, sich zu kleiden. Insofern war Julian Emporkömmling. Eine hübsche Dame der großen Welt macht auf einen geistvollen Mann aus dem Volke, dem sich die ersten Gesellschaftskreise erschließen, immer den größten Eindruck. Es war durchaus nicht Mathildens Charakter, der Julian bis dahin bezaubert hatte. Er war vernünftig genug, einzusehen, daß er ihren Charakter überhaupt noch nicht kannte. Alles, was er davon zu sehen bekam, konnte immerhin nur Schein sein.
    Beispielsweise hätte Mathilde um nichts in der Welt die Sonntagsmesse versäumt. Sie begleitete ihre Mutter fast alle Tage in die Kirche. Wenn im Hause La Mole irgendein Unvorsichtiger vergaß, wo er sich befand, und sich den geringsten Scherz über die wahren oder angeblichen Interessen von Thron und Altar erlaubte, so legte Mathilde sofort ein eisiges Wesen an den Tag. Ihr sonst so prickelnder Blick nahm plötzlich ganz und gar den gefühllosen Hochmut eines alten Ahnenbildes an.
    Hinwiederum hatte sich Julian vergewissert, daß sie in ihrem Zimmer stets zwei oder drei philosophische Werke von Voltaire hatte. Er selbst holte sich nämlich oft heimlich ein paar der prachtvoll gebundenen Bände der in der Bibliothek 40 vorhandenen Luxusausgabe, wobei er die übrigen Bände etwas auseinanderrückte, so daß die Lücken nicht auffielen. Dabei merkte er, daß noch jemand anders den Voltaire las. Oft waren Bände wochenlang verschwunden.
    Herr von La Mole ärgerte sich über seinen Buchhändler, der ihm alle möglichen unechten Denkwürdigkeiten schickte, und beauftragte Julian mit der Anschaffung aller einigermaßen pikanten Neuerscheinungen. Damit sich solches Gift aber nicht im Hause verbreitete, hatte der Sekretär Befehl, diese Bücher in einen besondern Bücherschrank zu stellen, der im Arbeitszimmer des Marquis stand. Julian hatte auch hier sehr bald die Gewißheit, daß solche Neuigkeiten, sofern sie sich gegen die Interessen von Thron und Altar richteten, unverzüglich verschwanden. Norbert las sie gewiß nicht.
    Julian überschätzte die Bedeutung dieser Tatsache und bildete sich ein, Fräulein von La Mole habe die Zweizüngigkeit eines Machiavell. Gleichwohl sah er in dieser vermeintlichen Verdorbenheit einen Reiz mehr, ja fast den einzigen nicht körperlichen Reiz, den Mathilde in seinen Augen hatte. Sein Ekel vor Scheinheiligkeit und Tugendgeschwätz verführte ihn zu dieser Übertreibung. Er erhitzte seine Einbildungskraft, ohne daß ihn wirkliche Liebe ergriff. Erst nachdem er sich so in eine gewisse Vergötterung von Mathildens eleganter Figur, ihres ausgezeichneten Geschmacks in Dingen der Mode, ihrer weißen Hände, ihrer schönen Arme und der
Disinvoltura
aller ihrer Bewegungen hineingeträumt hatte, fühlte er sich verliebt. Um ihren Reizen die Krone aufzusetzen, hielt er sie nun für eine Katharina von Medici. Für den Charakter, den er ihr so verliehen,

Weitere Kostenlose Bücher