Rot und Schwarz
Liebe, die zum Gähnen reizt? Ebensogut könnte ich Betschwester werden.
Bei der Unterzeichnung meines Ehevertrags mit dem Marquis würde es genauso sein wie bei dem meiner jüngeren Cousine. Die Großeltern wären vor Rührung zerfliessen wenn sie sich nicht über eine Klausel geärgert hätten, die der Notar der Gegenpartei im letzten Augenblick eingeschmuggelt hatte.«
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Zwölftes Kapitel
Ob er doch ein Danton ist?
Das Bedürfnis nach Abwechslung war der Grundzug im Wesen der schönen Margarete von Valois, meiner Tante, die bald nachher den König von Navarra heiratete, den wir gegenwärtig in Frankreich unter dem Namen Heinrich IV. an der Herrschaft sehen. Das Bedürfnis zu spielen bildete das ganze Geheimnis des Wesens dieser liebenswerten Prinzessin. Daraus entstanden ihre Zwistigkeiten und Wiederaussöhnungen mit ihren Brüdern, schon seit sie sechzehnjährig war. Was kann nun aber ein junges Mädchen aufs Spiel setzen? Das Kostbarste, was sie besitzt: ihren Ruf, das Ansehen ihres ganzen Lebens.
Denkwürdigkeiten des Herzogs von Angoulême, des natürlichen Sohnes Karls IX.
» Z wischen Julian und mir gibt es keine Vertragsunterzeichnung, keinen Notar. Alles ist heroisch, alles ein Gefüge des Zufalls. Wäre er ein Edelmann, so wäre es die Liebe der Margarete von Valois für den jungen La Mole, den hervorragendsten Mann seiner Zeit. Kann ich dafür, wenn die hoffähigen jungen Herren von heute so große Anhänger des Herkömmlichen sind und bei dem bloßen Gedanken an das geringste außergewöhnliche Abenteuer erbleichen? Eine kleine Reise nach Griechenland oder Afrika ist für sie der Gipfel der Waghalsigkeit. Und selbst das vollführen sie nur im Trupp. Sowie sie sich allein sehen, fürchten sie sich, nicht vor den Lanzen der Beduinen, aber davor, sich lächerlich zu machen. Und diese Angst macht sie verrückt.
Mein kleiner Julian hingegen vollbringt eine Tat am liebsten allein. Niemals kommt diesem Ausnahmegeschöpf der Gedanke, Beistand und Hilfe bei andern zu suchen. Er verachtet die andern. Gerade darum verachte ich ihn nicht.
Wäre Julian bei seiner Armut von Adel, so wäre meine Liebe nichts als eine Alltagstorheit, eine fade Mesalliance. Dafür danke ich! Dann wäre dabei nichts von dem, was die großen Leidenschaften ausmacht, nichts von der Riesenhaftigkeit der zu überwindenden Schwierigkeiten, nichts von der düsteren Ungewißheit des Ausganges.«
Diese und ähnliche schöne Betrachtungen hatten es Fräulein von La Mole dermaßen angetan, daß sie Julian am andern Morgen, ohne es zu wollen, vor dem Marquis von Croisenois und ihrem Bruder rühmte. Ihre Beredsamkeit ging so weit, daß sie verletzend wirkte.
»Nimm dich nur in acht vor diesem jungen Manne und seiner großen Tatkraft!« rief ihr Bruder aus. »Wenn es wieder zur Revolution kommt, wird er uns allesamt köpfen lassen!«
Mathilde hütete sich zu antworten und beeilte sich, ihren Bruder und den Marquis von Croisenois ob ihrer Furcht vor der Tatkraft zu verspotten. »Furcht vor der Tatkraft ist im Grunde nur Furcht vor dem Unvorhergesehenen, Furcht, den kürzeren zu ziehen, wenn man mit Unvorhergesehenem zusammentrifft«, dachte sie bei sich.
»Treibt sie denn noch immer ihr Unwesen, die Furcht vor der Lächerlichkeit? Ich dachte, das Ungeheuer sei Anno 1816 unglücklich verschieden«, höhnte sie.
Mathilde verließ die jungen Herren alsbald. Der Ausspruch ihres Bruders hatte ihr Schrecken eingeflößt und beunruhigte sie sehr. Aber am andern Morgen war sie sich klar, daß er ein schöneres Lob nicht hätte sagen können.
»In unserm Jahrhundert, wo alle Tatkraft tot ist, flößt die seine ihnen Angst ein. Ich werde ihm erzählen, was mein Bruder gesagt hat. Ich will einmal sehen, was er darauf antwortet. Aber ich werde mir dazu einen der Augenblicke aussuchen, wo seine Augen leuchten. Dann kann er mir nichts vorlügen.«
»Er wäre ein zweiter Danton!« fuhr sie nach langem, vagem Sinnen fort. »Trefflich! Mag eine Revolution kommen! Welche Rollen werden Croisenois und mein Bruder wohl dabei spielen? Ich weiß es genau. Sie werden die großartigste Gelassenheit zur Schau tragen. Heldenhaft wie Hammel werden sie sich abschlachten lassen, ohne ein Wort zu sagen. Ihre einzige Furcht beim Sterben wäre die, sich stillos zu benehmen. Mein kleiner Julian hingegen würde den Jakobiner, der ihn festzunehmen versuchte, niederknallen, wenn er auch noch so wenig Hoffnung hätte, sich dadurch zu retten. Er hat keine Angst davor,
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