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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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stillos zu sein!«
    Dies letzte Wort stimmte sie nachdenklich. Es erweckte gewisse peinliche Erinnerungen in ihr und nahm ihr alle Kühnheit; es gemahnte sie an die Spottworte ihres Bruders und der Herren Caylus, Croisenois und Luz, die Julian allesamt den Pfaffen nannten, das hieß, ihm kriecherisches, heuchlerisches Wesen vorwarfen.
    »Trotz alledem«, fuhr sie plötzlich fort, und ihre Blicke leuchteten vor Freude, »die Bitternis und Häufigkeit ihrer spöttischen Bemerkungen beweisen gerade, daß er der hervorragendste Mensch ist, den wir diesen Winter in unserm Hause gesehen haben. Was schaden seine Fehler und Lächerlichkeiten? Es liegt etwas Großes in ihm, und das ist es, worüber sie entsetzt sind, sie, die sich sonst so gütig und nachsichtig gebaren. Gewiß, er ist arm, ein armer Student der Theologie. Sie sind Eskadronchefs. Sie haben es nicht nötig zu studieren. Das ist bequemer.
    Trotz aller Schattenseiten seines ewigen schwarzen Rockes und seiner Priestermiene, die er nun einmal haben muß, der arme Junge, wenn er nicht verhungern will, empfinden diese eleganten Offiziere Furcht vor seinem innern Werte. Das ist unleugbar. Und dann: er verliert seine Priestermiene, sowie wir einige Augenblicke allein zusammen sind. Wenn die Herren irgend etwas sagen, was sie für ein geniales Impromptu halten, fällt ihr erster Blick nicht immer auf Julian? Das ist mir nicht entgangen. Und doch wissen sie sehr gut, daß er nie mit ihnen spricht, wenn sie ihn nicht fragen. Nur an mich richtet er das Wort. Mich hält er für eine große Seele. Auf ihre Einwürfe erwidert er nur das Allernötigste, um höflich zu sein, Er zieht sich stets sofort wieder in sein respektvolles Schweigen zurück. Mit mir spricht er ganze Stunden lang, und er ist seiner eignen Ideen nicht sicher, wenn ich den geringsten Einwand habe. Schließlich war diesen Winter keine Gelegenheit zu tapferen Taten. Es kam nur darauf an, die Aufmerksamkeit durch Worte auf sich zu lenken. Sei es, wie es sei! Mein Vater, ein höherer Mensch, dem der Ruhm unsres Hauses am Herzen liegt, respektiert Julian. Alle andern hassen ihn. Niemand aber verachtet ihn, ausgenommen die frömmelnden Freundinnen meiner Mutter.«
    Graf Caylus war ein großer Pferdeliebhaber oder spielte sich wenigstens als solchen auf. Er verbrachte sein Leben im Stall und frühstückte oft sogar daselbst. Diese große Passion verlieh ihm in Verbindung mit der Gewohnheit, niemals zu lachen, hohes Ansehen unter seinen Kameraden. Er war der Löwe des kleinen Kreises.
    Als man am nächsten Abend wiederum hinter Frau von La Moles Lehnstuhl versammelt saß und Julian nicht anwesend war, griff Caylus in Gemeinschaft mit Croisenois und dem Grafen Norbert die gute Meinung, die Mathilde von Julian hatte, lebhaft an, und zwar ohne besondere Veranlassung, fast in demselben Moment, als er Fräulein von La Mole erblickte. Sie durchschaute das Motiv dieses Anschlags und war entzückt darüber.
    »Siehe da!« dachte sie. »Sie haben sich alle gegen einen Mann von Geist verbündet, der keine hundert Taler Vermögenszinsen hat und ihnen nur antworten darf, wenn er gefragt wird. Sie fürchten sich vor seinem schwarzen Rocke. Wie wäre es erst, wenn er Epauletten trüge?«
    Niemals hatte Mathilde ihren Geist glänzender bewiesen. Schon bei den ersten Angriffen überschüttete sie Caylus und seine Verbündeten mit den witzigsten Sarkasmen. Als die Offiziere ihre Raketen verschossen hatten, sagte sie zum Grafen von Caylus: »Gesetzt den Fall, morgen erinnert sich irgendein Krautjunker aus den Bergen der Freigrafschaft, daß Julian sein natürlicher Sohn ist, und gibt ihm seinen Namen und paar tausend Franken Zuschuß, so wird Sorel in sechs Wochen genauso einen Schnurrbart tragen wie Sie, meine Herren. In sechs Monaten ist er Husarenoffizier wie Sie, meine Herren. Alsdann ist die Größe seines Charakters nicht mehr lächerlich. Und dann bleibt Ihnen, Herr Herzog
in spe
, nichts als die Zuflucht zu der lächerlichen alten Tradition, daß der Hofadel vor dem Landadel den Vorrang habe. Was aber bliebe Ihnen, wenn das Schicksal so boshaft wäre und Julian zum Sohne eines spanischen Granden machte, der zu Napoleons Zeiten als Kriegsgefangener in Besançon gesessen hat und ihn auf dem Totenbett reuig anerkennt?«
    Solche Annahmen einer illegitimen Herkunft wurden von Caylus und Croisenois für ziemlich geschmacklos befunden. Weiter wußten sie Mathildens Vorhaltungen nichts zu entnehmen.
    Wie sehr Norbert auch unter der

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