Rot und Schwarz
der Wüste der Mittelmäßigkeit, durch die ich mich mühselig schleppe! Hol mich der Teufel! So dumm bin ich nicht. Jeder für sich in dieser Wüste des Egoismus, die man das Leben nennt! «
Er erinnerte sich gewisser verächtlicher Blicke der Marquise von La Mole und besonders ihrer Freundinnen. Und die Freude, über den Marquis von Croisenois zu triumphieren, tat das übrige, um seiner Moralanwandlung den Todesstoß zu geben. »Es wäre mir ein Genuß, ihn gereizt zu sehen!« dachte Julian. »Mit welcher Sicherheit würde ich ihm jetzt einen Degenstich beibringen!« Dabei machte er die Bewegung eines Sekundenstoßes. »Bisher war ich ein armseliges Schreiberlein, das sein bißchen Mut ruhmlos vergeudete! Nach diesem Briefe bin ich seinesgleichen.*
»Ja«, sagte er sich in unendlicher Wonne, wobei er jedes einzelne Wort Silbe für Silbe betonte, »meine und des Marquis Verdienste lagen auf einer Waage, und der arme Müllerssohn aus dem Jura hat den Sieg davongetragen.«
»Famos!« rief er aus. »Das ist ein Gedanke! In diesem Sinne werde ich die Antwort abfassen! Bilden Sie sich nicht ein, Fräulein von La. Mole, daß ich mein Plebejertum je vergesse! Ich werde es Ihnen immer wieder vorhalten und fühlbar machen, daß Sie einen Nachkommen des berühmten Veit von Croisenois, der mit Ludwig dem Heiligen in den Kreuzzug ging, an den Sohn eines Sägemüllers verraten!«
Julian konnte sich in seiner Freude nicht mehr halten. Er mußte in den Garten hinuntergehen. Sein Zimmer, in das er sich eingeschlossen hatte, kam ihm zu eng vor.
»Ich, der arme Bauernjunge aus dem Jura«, wiederholte er sich unaufhörlich, »ich, der ich dazu verurteilt bin, ewig diesen traurigen schwarzen Kittel zu tragen! Ach, zwanzig Jahre früher hätte ich einen Feldrock getragen wie Croisenois und seine Kameraden. Ein Mann meines Schlages wäre vor dem Feind gefallen oder mit sechsunddreißig Jahren General geworden!«
Der Brief, den er krampfhaft in der Hand hielt, gab ihm die Miene und die Haltung eines Helden. »Heutzutage freilich«, sagte er sich, »hat man im besten Falle mit vierzig Jahren ein Einkommen von hunderttausend Franken – in diesem schwarzen Rocke ...«
»Tritt gefaßt!« setzte er mit mephistophelischem Auflachen hinzu. »Ich habe mehr Geist als diese Landsknechte! Ich erkenne die Uniform meines Jahrhunderts!«
Und er fühlte fast körperlich, wie sein Ehrgeiz und seine Liebe zum geistlichen Stand schwollen. »Wie viele Kardinäle, noch niedriger geboren als ich, haben doch regiert, mein Landsmann Granvella zum Beispiel!«
Nach und nach legte sich seine Aufregung. Die Vorsicht gewann wieder die Oberhand. Mit seinem Meister Tartüff, dessen Rolle er auswendig konnte, rief er laut aus:
»Ich darf in ihren Worten List nur sehn,
Und traue eher nicht dem süßen Klange,
Als bis von all der Gunst, die ich begehre,
Ein wenig mir das ganze Glück verheißt.
Auch Tartüff ist durch eine Frau zugrunde gegangen, obgleich er seine Sache besser verstand als mancher andre... Meine Antwort könnte herumgezeigt werden ...«, fuhr er fort, wobei er Wort für Wort ruckweise ausstieß, mit verhaltener Wut. »Dagegen werden wir uns schützen, indem wir zu Anfang unsrer Antwort die lebhaftesten Wendungen aus dem Briefe der erhabenen Mathilde einfach wiederholen. Ja, aber vier Lakaien des Marquis von Croisenois werden sich auf mich stürzen und mir das Original entreißen. Erfolglos ... Ich bin wohlbewaffnet und im Schießen auf Domestiken bekanntlich kein Anfänger. Gewiß! Aber schließlich kriegt mich einer doch unter. Man hat ihm eine hohe Belohnung versprochen ... Ich verwunde oder töte ihn ... Das will man ja gerade! Dann komme ich mit Fug und Recht in Untersuchungshaft, vor den Richter und ins Zuchthaus ... Dort liege ich dann unter vierhundert Lumpen aller Art... Und ich wollte Mitleid mit diesen Leuten haben!«
Er sprang empört auf. »Mitleid! Haben sie vielleicht Mitleid mit unsereinem, wenn man in ihrer Gewalt ist?«
Mit diesem Aufschrei erstarb der Rest von Dankbarkeit gegen Herrn von La Mole, die ihn gegen seinen Willen gequält hatte.
»Nicht so eilig, Ihr Herren Edelleute! Ich begreife diese kleine Betätigung des Machiavellismus. Der Abbé Maslon oder Herr Castanède vom Seminar hätten es nicht besser gemacht. Man wird mir den provozierenden Brief nicht lassen. Einen Augenblick! Zunächst will ich den fatalen Brief in Sicherheit bringen. Ich werde ihn wohlversiegelt an Pirard, nein lieber an Fouqué
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