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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Untertanen ganz gehorsamst zu empfehlen ... usw.
     
    Nachdenklich sagte sich Julian: »Also, sogar ein Schwachkopf wie dieser Cholin zeigt einem, wie man es machen muß!«
    Noch acht Tage nach der Durchreise des Königs hielt in Verrières eine Tatsache alle Gemüter mehr in Spannung als die unzähligen Lügen, einfältigen Auslegungen und lächerlichen Erörterungen, die der Reihe nach dem Landesherrn, dem Bischof von *******, dem Marquis von La Mole, den zehntausend Flaschen Wein und dem Herunterfall des armen Moirod gewidmet wurden. (Letzterer ließ sich übrigens erst vier Wochen nach seinem Malheur wieder vor der Öffentlichkeit blicken.) Dies war die unerhörte Taktlosigkeit, daß Julian Sorel, der Müllerssohn, in die Ehrenwache hineinbugsiert worden war. Über dieses Thema mußte man die reichen Bunte-Leinwand-Fabrikanten hören, die sich von früh bis abends im Kaffeehaus über die soziale Gleichheit heiser redeten. Da hieß es, die eingebildete Frau Bürgermeister sei die Anstifterin dieser Schandtat. In den schönen Augen und den roten Backen des Herrn Hauslehrers habe man den nötigen Kommentar.
    Kurz nach der Rückkehr nach Vergy bekam Stanislaus-Xaver, der jüngste Knabe, Fieber. Frau von Rênal ward von gräßlichen Gewissensbissen befallen. Zum erstenmal machte sie sich ob ihrer Liebe alle möglichen Vorwürfe. Wie durch ein Wunder gingen ihr plötzlich die Augen auf. Sie erkannte die ganze Größe der Schuld, zu der sie sich hatte verführen lassen. Trotz ihrer tiefen Religiosität war es ihr bisher nicht zum Bewußtsein gekommen, daß sie vor Gott ungeheuerlich gesündigt hatte.
    Einstmals, im Herz-Jesu-Kloster, hatte sie Gott inbrünstig geliebt. Jetzt empfand sie im gleichen Maße Furcht vor ihm. Die Kämpfe, die in ihrer Seele entbrannten, waren um so schrecklicher, als sie vor Angst der Vernunft kein Gehör schenkte. Julian sah, daß er die arme Frau nicht beruhigte, sondern nur quälte, wenn er ihr vom Standpunkt des gesunden Menschenverstandes zuredete. Seine Worte klangen ihr wie Einflüsterungen der Hölle.
    Da Julian den kleinen Stanislaus in sein Herz geschlossen hatte, so sprach er selber schließlich in einem fort von der Krankheit, die mehr und mehr einen ernsten Charakter annahm. Die fortwährende Gewissenspein brachte die Mutter um jedweden Schlaf. Sie wurde schweigsam und grüblerisch. Hätte sie den Mund aufgetan, so wäre es nur gewesen, um sich vor Gott und den Menschen anzuklagen.
    »Ich beschwöre dich«, bat Julian, sobald sie allein waren, »sprich zu niemandem! Laß mich den einzigen Vertrauten deines Leids sein! Wenn du mich noch liebhast, dann rede nicht! Geständnisse machen unsern Stanislaus nicht fieberfrei.«
    Sein Zuspruch hatte keine Wirkung. Allerdings wußte Julian nicht, daß sich Frau von Rênal in den Kopf gesetzt hatte, der eifersüchtige Herrgott fordere in seinem Zorne, daß sie entweder den Geliebten hasse oder ihren Sohn durch den Tod verliere. Julian hassen, das war ihr unmöglich. Und deshalb war sie so namenlos unglücklich.
    »Geh von mir! Fliehe!« flüsterte sie ihm einmal zu. »Im Namen Gottes, verlaß mein Haus! Deine Gegenwart mordet mein Kind!« Und dumpf setzte sie hinzu: »Der Allmächtige straft mich. Und mit Recht. Ich bete seine Gerechtigkeit an. Meine Sünde ist zu schändlich. Nicht einmal Reue empfand ich. Ein Beweis, daß ich bereits von Gott verlassen war. Nun muß ich doppelt büßen.«
    Julian war tiefgerührt. Er vermochte in ihren Selbstvorwürfen weder Heuchelei noch Übertreibung zu erkennen. »Sie ist des Glaubens«, sagte er sich, »ihren Sohn zu morden, wenn sie mich liebt. Und doch liebt mich die Unglückselige mehr als ihren eigenen Sohn. Ich darf nicht zweifeln: die Reue tötet sie. Wahrlich, das ist Gefühlsgröße! Wunderbar, daß ich armer, ungeschliffener, dummer, mitunter roher Bauernjunge eine solche Liebe zu erwecken fähig war!«
    Eines Nachts stand es mit dem Kinde besonders schlimm. Gegen zwei Uhr kam Herr von Rênal, um nach ihm zu sehen. Der Knabe lag in hohem Fieber, sah scharlachrot aus und erkannte den Vater nicht. Da warf sich Frau von Rênal ihrem Manne plötzlich zu Füßen. Julian, der mit bei dem Kinde wachte, sah sofort, daß sie alles gestehen wollte: zu ihrem ewigen Verderben. Zum Glück mißfiel dem Hausherrn dies seltsame Gebaren.
    »Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!« sagte er und schickte sich an zu gehen.
    »Ach, höre mich doch an!« rief sie, noch immer auf den Knien.
    »Du sollst alles

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