Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
Vom Netzwerk:
Clemens. In der Tracht eines jungen römischen Kriegers lag er unter dem Altar. Am Hals hatte er eine weite Wunde, aus der Blut zu tropfen schien. Der Verfertiger der Statue war ein großer Realist. Die halbgeschlossenen, brechenden Augen des Heiligen leuchteten in überirdischem Glanz, ein keimendes Bärtchen schmückte seinen schönen Mund, der, ein wenig geöffnet, aussah, als flüstere er ein letztes Gebet. Bei diesem Anblick begann eine der Jungfrauen, Julians Nachbarin, zu weinen, und eine ihrer Tränen fiel ihm auf die Hand.
    Einen Augenblick betete alles in tiefstem Schweigen, das nur durch das ferne Glockengeläut aus allen Dörfern in der Runde unterbrochen wurde. Danach bat der Bischof den König, seine Predigt beginnen zu dürfen. Es war eine kurze, sehr rührsame Rede, die mit ein paar schlichten Worten schloß, die starken Eindruck machten.
    »Junge Christinnen, vergeßt nie, daß ihr einen der größten Könige der Erde vor einem Diener Gottes des Allmächtigen auf den Knien erblickt habt, vor einem jener schwachen Diener des Herrn, die hienieden verfolgt und gemordet worden, jetzt aber triumphierend an Gottes Thron sitzen. Einer von ihnen ist der heilige Clemens, dessen Wunde ihr hier bluten seht! Gelobt mir, meine jungen Christinnen, nie in eurem Leben dieses Tages zu vergessen! Ihr werdet den Unglauben verabscheuen und immerdar treu bleiben dem Herrn, dessen Rache so fürchterlich und dessen Güte so groß ist.«
    Der Bischof richtete sich würdevoll auf.
    »Nicht wahr, ihr gelobt es mir?« fuhr er fort, indem er die Rechte erhob und wie in gottseliger Weihe ausstreckte.
    »Wir geloben es!« lispelten die jungen Mädchen, in Tränen zerfließend.
    »Im Namen Gottes des Herrn«, schloß der Prälat mit Donnerstimme, »nehme ich euer Gelübde an.«
    Damit war die Feierlichkeit zu Ende. Selbst der König weinte.
    Erst lange nachher kam Julian so weit zur Besinnung, daß er sich erkundigte, wo denn eigentlich die Gebeine wären, die Philipp der Großmütige, Herzog von Burgund, aus Rom mitgebracht hatte. Man sagte ihm, sie seien in der schönen Wachsfigur eingeschlossen.
    Seine Majestät geruhte, den jungen Mädchen, die ihn in die Kapelle begleitet hatten, das Tragen eines roten Bandes mit der eingestickten Devise:
    Haß dem Unglauben in ewiger Anbetung!
    allergnädigst zu erlauben.
    Der Marquis von La Mole ließ zehntausend Flaschen Wein unter die Bauern verteilen. Die Liberalen benutzten den Anlaß, abends hundertmal schöner zu illuminieren als die Royalisten. Vor seiner Abfahrt stattete der König Herrn von Moirod einen Besuch ab.

----

Neunzehnte Kapitel
Denken schafft Leiden
Das Groteske der alltäglichen Vorgänge verbirgt uns das wahre Unglück der Leidenschaften.
    Barnave
    A ls sich Julian in dem Zimmer umsah, das der Marquis von La Mole innegehabt hatte, fand er einen viermal gebrochenen Bogen starken Kanzleipapiers, auf dessen erster Seite folgendes zu lesen war:
     
    An den
Kammerherrn Seiner Majestät des Königs, Pair von Frankreich,
Ritter höchster Orden,
Herrn Marquis von La Mole,
Exzellenz.
     
    Es war ein Bittgesuch in ungelenker Köchinnenhandschrift:
     
    Hochwohlgeborener Herr Marquis!
Ich habe mein Leben lang religiöse Grundsätze gehabt, ich war in Laon zur Zeit der Belagerung, 1793 schrecklichen Angedenkens, unter den Bomben der Jakobiner. Ich gehe zur Kommunion und jeden Sonntag zur Messe in die Pfarrkirche. Ich habe nie meine Osterpflicht versäumt, selbst nicht im Jahre 1793 schrecklichen Angedenkens. Meine Köchin, nur vor der Revolution hielt ich mir Diener, meine Köchin kocht jeden Freitag Fastenspeisen. Ich erfreue mich in Verrières der allgemeinen und, ich darf wohl sagen, verdienten Achtung. Ich gehe bei Prozessionen unter dem Baldachin, neben Herrn Pfarrer und neben Herrn Bürgermeister. Ich trage an den hoben Festen eine große Kerze auf meine eigenen Kosten. Über alles das liegen amtlich beglaubigte Bescheinigungen in Paris im Königlichen Ministerium des Innern. Eure Exzellenz bitte ich untertänigst um die Lotteriekollektion zu Verrières, die auf die oder jene Weise demnächst frei werden dürfte, da der jetzige Inhaber sehr krank ist und überdies bei den Wahlen schlecht stimmt ... usw.
    Eurer Exzellenz alleruntertänigster
    Cholin.
     
    Auf der freien Hälfte der Bittschrift stand, von Moirod unterzeichnet, folgende Befürwortung:
     
    Eurer Exzellenz beehre ich mich im Anschluß an das gestern mündlich Vorgebrachte den Gesuchsteller nochmals als guten

Weitere Kostenlose Bücher