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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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wahrheitsgetreu erfahren. Ich bin die Mörderin deines Sohnes! Ich, die ich ihm das Leben gegeben, ich nehme es ihm. Das ist die Strafe des Himmels. Vor Gott bin ich Mörderin. Ich muß mich selber verderben und demütigen. Vielleicht macht diese Sühne den lieben Gott gnädig ...«
    Hätte Herr von Rênal genug Einbildungskraft besessen, so hätte er den Sinn dieser Worte verstanden.
    »Überspannter Blödsinn!« brummte er und wehrte seine Frau ab, die seine Knie zu umarmen suchte. »Überspannter Blödsinn! Genug! Julian, lassen Sie bei Tagesanbruch den Doktor holen!«
    Damit entfernte er sich, um sich wieder zu Bett zu legen. Julian versuchte Frau von Rênal aufzurichten. Halb von Sinnen, fiel sie von neuem auf die Knie und stieß ihn mit einer krampfhaften Bewegung von sich.
    Julian stand voll Erstaunen da.
    »So ist also der Ehebruch!« dachte er bei sich. »Am Ende haben die Pfaffen, diese Halunken, die selber die größten Sünder sind, das Vorrecht, das innere Triebwerk der Sünde am besten zu kennen? Seltsam!«
    Herr von Rênal war schon eine Viertelstunde aus dem Zimmer, und noch immer sah Julian die geliebte Frau, ihr Haupt an das Bett des Kindes gelehnt, unbeweglich und ohne rechte Besinnung auf dem Teppich liegen. »Das ist keine Durchschnittsfrau, die zugrunde gehen will, weil sie Ehebrecherin ist!« sagte er sich.
    Eine Stunde nach der andern verging. Julian grübelte darüber nach: »Was kann ich für sie tun? Ich muß einen Entschluß fassen. Hier handelt es sich nicht mehr um mich. Was gehen mich die Leute an und ihre Narrenspossen? Was kann ich für sie tun? Sie verlassen? Nein, dann ist sie einsam und allein mit ihrer gräßlichen Herzensnot. Dieser Automat von Mann schadet ihr eher, als daß er ihr hilft. Grob, wie er ist, wird er ihr harte Worte sagen. Sie kann verrückt werden und sich zum Fenster hinunterstürzen. Wenn ich sie verlasse, wenn ich nicht mehr über sie wache, wird sie ihm alles gestehen. Wer weiß, ob er nicht trotz der Erbschaft, die sie ihm einbringen soll, doch Skandal macht? Auch könnte sie diesem gottverdammten Abbé Maslon beichten. Er benutzt die Krankheit eines sechsjährigen kleinen Jungen, um sich hier im Hause einzunisten. Dabei hat er natürlich seine Absichten. In ihrem Schmerz und aus Furcht vor Gott vergißt sie alles, was sie über diesen Menschen Übles weiß. Sie sieht in ihm nur den Priester ...«
    »Geh! Geh!« rief in diesem Augenblick Frau von Rênal, indem sie die Augen aufschlug.
    »Tausendmal gebe ich mein Leben hin«, beteuerte Julian, »wenn man mir dafür sagt, was für dich das beste ist! Ich liebe dich mehr denn je, mein Engel, meine Fee. Glaube mir, erst in dieser Stunde beginne ich dich so anzubeten, wie du es verdienst! Was soll aus mir werden, wenn ich, dir fern, immer daran denken muß, du seiest unglücklich durch mich? Aber was gilt mein Leid? Ich will ja gehen, Geliebteste. Ach, wenn ich dich verlassen habe, wenn ich nicht mehr über dich wache und nicht mehr zwischen dir und deinem Manne stehe, dann wirst du ihm alles sagen und dich zugrunde richten. Denke daran, daß er dich mit Schimpf und Schande aus seinem Hause jagen wird! Ganz Verrières, ganz Besançon wird von diesem Skandale reden. Man wird dir alles in die Schuhe schieben, und nie wirst du diese Schmach überwinden können ...«
    »Das will ich ja gerade!« unterbrach sie ihn fast schreiend, indem sie sich aufrichtete. »Wenn ich leide, um so besser!«
    »Durch solch einen schauderhaften Skandal bringst du auch deinen Mann ins Unglück!«
    »Was geht mich das an? Wenn ich mich selbst erniedrige, mich in den Staub werfe, so rette ich vielleicht mein Kind. Demütigung vor aller Augen ist für mich vielleicht die rechte Buße. Wäre das nicht, soweit ich mich in meiner Schwachheit zu verstehen vermag, das größte Opfer, das ich Gott bringen kann? Vielleicht nimmt er meine Selbsterniedrigung gnädig an und läßt mir meinen Sohn. Zeige mir eine andre schwere Sühne! Ich will mich ihrer auf der Stelle unterziehen.«
    »Laß mich die Strafe tragen!« bat Julian. »Ich bin der Mitschuldige. Sag, soll ich in das Trappistenkloster gehen? Das strenge Leben dort wird deinen Gott versöhnen ... Allmächtiger, warum kann ich nicht des Kindes Krankheit auf mich nehmen!«
    »Du liebst ihn, du!« rief Frau von Rênal. Sie sprang auf und fiel Julian um den Hals. Aber schon im nämlichen Augenblick stieß sie ihn voll Abscheu wieder von sich. »Ich glaub es dir! Ich glaub es dir!«
    Von neuem

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