Rot und Schwarz
Hochmuts aufgefaßt. Jetzt war dies den Rohlingen, die ihn umgaben, eine berechtigte Äußerung seiner Würde. Die Feindseligkeit gegen ihn nahm zusehends ab, besonders unter den jüngeren Kameraden, die nun seine Schüler wurden und die er sehr höflich behandelte. Nach und nach gewann er sogar Anhänger, und bald galt es für unmanierlich, ihn Martin Luther zu nennen.
Seit Julian seine neue Würde bekleidete, sprach der Direktor Pirard absichtlich nur noch vor Zeugen mit ihm. Das war klug gehandelt, sowohl in Hinsicht auf den Lehrer wie auf den Schüler. Vor allem aber sollte es eine Prüfung sein. Als strenger Jansenist hatte Pirard folgenden Hauptgrundsatz: »Je mehr Verdienste ein Untergebener in unsern Augen hat, um so mehr muß man ihm all sein Tun und Trachten erschweren. Ist er wirklich etwas wert, so wird er die Schwierigkeiten umgehen oder überwinden.«
Zur Jagdzeit hatte Fouqué den Einfall, dem Seminar als angebliches Geschenk von Julians Eltern einen Hirsch und ein Wildschwein zu schicken. Dies Wildbret hing im Gang zwischen Küche und Refektorium, so daß alle Seminaristen es sehen mußten, wenn sie zum Essen gingen. Das war ein Ereignis, das die allgemeine Neugierde erregte. Acht Tage lang redete man von nichts anderm.
Diese Schenkung machte Julians Eltern zu Respektspersonen und beseitigte den Rest des Hasses gegen Julian. Der Reichtum seiner Familie sanktionierte seine Überlegenheit. Chazel und andre Größen der Seminaristenschaft suchten sichtlich den nähern Verkehr mit ihm. Beinahe hätten sie ihm einen Vorwurf daraus gemacht, daß er sie bisher vom Wohlstande seiner Familie nicht gehörig in Kenntnis gesetzt und sie in die peinliche Lage gebracht hatte, ihm die einem reichen Manne gebührende Hochachtung versagt zu haben.
Um diese Zeit fand eine Rekrutenaushebung in Besançon statt. In seiner Eigenschaft als Priesterschüler kam Julian frei. Dies bewegte ihn tief. »Ich bin zwanzig Jahre zu spät geboren! So habe ich die Zeit verpaßt, in der ich ein Held hätte werden können! Nie kehrt sie wieder!«
Als er an diesem Tage allein im Garten spazierenging, hörte er, wie einer der Arbeiter, die an der Umfassungsmauer zu tun hatten, bemerkte: »Na, nun müssen wir fort! Uns heben sie sicher aus.«
Ein andrer meinte: »Zu des Kaisers Zeit, ja, da wurde unsereiner wenigstens was, Offizier, sogar General. Man hat Beispiele!«
»Das war einmal!« lachte ein dritter. »Wer wird denn heutzutage Soldat? Arme Schlucker! Wer was hat, bleibt daheim!«
»Und wer im Dreck geboren ist, der bleibt im Dreck!«
»Sagt! Ist es denn eigentlich wahr, was man so sagt, daß er tot ist?«
»Die Angstmeier behaupten es.«
»Wie hat sich die Welt geändert! Zu seiner Zeit, das war ein ander Ding! Aber seine Marschälle haben ihn verraten. Die Schufte!«
Dies Gespräch tröstete Julian einigermaßen. Im Weitergehen seufzte er:
» Der einzige, den nie sein Volk vergißt !«
Die Examenszeit kam heran. Die Examinatoren waren von dem berüchtigten Großvikar von Frilair ernannt worden. Julian gab ausgezeichnete Antworten. Er machte die Wahrnehmung, daß selbst Chazel sein Licht nicht unter den Scheffel stellte.
Am ersten Prüfungstage mußten die Examinatoren Julian Sorel, der ihnen als Lieblingsschüler des Abbé Pirard bezeichnet worden war, zu ihrem Leidwesen allenthalben als Besten oder Zweitbesten in ihre i Listen eintragen. Schon wettete man im Seminar, Julian werde in der Schlußliste als Allererster stehen, was die Ehre nach sich zog, zu Seiner Hochwürden dem Bischof zu Tisch befohlen zu werden.
Gegen das Ende der Prüfung kam die Rede auf die Kirchenväter. Nachdem der betreffende gewandte Examinator vom heiligen Hieronymus und dessen Vorliebe für Cicero gesprochen hatte, schwenkte er auf Horaz, Virgil und andre profane Dichter über. Ohne Wissen seiner Mitschüler hatte Julian eine stattliche Anzahl Stellen aus diesen Autoren auswendig gelernt. Von seinen Erfolgen hingerissen, vergaß er den Ort, an dem er stand, und sagte auf wiederholtes Befragen des Prüfenden mehrere Oden des Horaz auf und erläuterte sie voll Begeisterung.
Zwanzig Minuten lang ließ ihn der Examinator sich begeistert aussprechen. Dann zog er plötzlich eine andre Miene auf und tadelte Julian scharf, daß er seine Zeit mit so weltlichen Studien vergeudet und sich den Kopf mit so unnützen und sündhaften Dingen beschwert habe.
»Es war töricht, Euer Hochwürden; ich sehe es ein«, erwiderte Julian bescheiden. Er erkannte,
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