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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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zitterte Julian dermaßen, daß es der Abbé aufgeben mußte, ihn vorzustellen. .
    »Grämen Sie sich nicht weiter darüber!« meinte er gutmütig. »Ich werde eine andre Gelegenheit finden.«
    Gegen Abend schickte er zehn Pfund Kerzen für die Seminarkapelle, wozu er sagen ließ, sie seien erspart worden, weil die Kerzen in der Kathedrale durch Julians Umsicht und Eifer sofort nach der Prozession ausgelöscht worden wären. Nichts war weniger wahr.

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Neunundzwanzigstes Kapitel
Die erste Beförderung
Er kannte sein Jahrhundert, er kannte sein Departement, und er ist reich.
    Der Vorläufer
    J ulian war noch immer wie gelähmt durch die Episode in der Kathedrale, als ihn der gestrenge Abbé Pirard eines Morgens zu sich rufen ließ.
    »Der Herr Abbé Chas-Bernard empfiehlt Sie mir durch dieses Schreiben ganz besonders«, begann er. »Ich bin mit Ihrer Führung im ganzen recht zufrieden. Aber Sie sind äußerst unvorsichtig, ja unbesonnen. Mir ist es nicht entgangen. Immerhin, bis jetzt ist Ihr Herz gut, sogar edel. Und Sie besitzen einen überlegenen Geist. Mit einem Worte: es glüht ein Funken in Ihnen, den man nicht ausgehen lassen darf.«
    »Nach fünfzehn Jahren voller Arbeit stehe ich im Begriffe, dies Haus zu verlassen. Man beschuldigt mich, den Seminaristen zu viel Freiheit gelassen und nichts für und nichts gegen die geheime Verbindung getan zu haben, von der Sie mir im Beichtstuhl berichtet haben. Ehe ich fortgehe, will ich etwas für Sie tun. Ich hätte es bereits vor acht Wochen gemacht, denn Sie haben es verdient, wenn nicht die Denunziation wegen der Adresse der Amanda Binet dazwischen gekommen wäre. Ich ernenne Sie hiermit zum Repetitor für das Alte und Neue Testament.«
    Im Überschwange seiner Dankbarkeit durchzuckte Julian die Idee, er müsse in die Knie sinken und Gott danken. Doch er folgte einem aufrichtigeren Drange. Er ging auf den Abbé zu, ergriff seine Hand und führte sie an die Lippen.
    »Was soll das?« rief der Direktor ärgerlich; aber da sah er, daß Julians Augen noch mehr verrieten als das, was er eben getan. Er war tief verwundert, just wie ein Mensch, der es im Laufe der Jahre aufgegeben hat, Herzensregungen zu begegnen. Dieses Erstaunen sah man dem Abbé an, und es lag ein seltsamer Klang in seiner Stimme, als er sagte: »Gewiß, mein Sohn, ich bin dir zugetan. Gott ist mein Zeuge, daß es wider meinen Willen ist, denn ich weiß, daß es meine Pflicht ist, gerecht zu sein, keinem zuliebe, keinem zuleide. Deine Laufbahn wird voller Mühen sein. Denn in dir lebt und webt etwas, das den großen Haufen verletzt. Neid und Verleumdung werden nicht von dir lassen. Wohin die Vorsehung dich auch stellen mag: Deine Gefährten werden dich nie ohne Haß betrachten. Selbst wenn sie tun, als hätten sie dich gern, so geschieht dies nur, um dich desto sicherer zu verraten. Dagegen hilft nur eines: Nimm deine Zuflucht zu Gott! Er ist es, der dir zur Strafe für deinen wissentlichen und unwissentlichen Hochmut den Haß der andern bereitet. Sei lauter in Handel und Wandel. Anders kommst du nimmer zu deinem Frieden. Wenn du unverbrüchlich und unablässig zur Wahrheit hältst, werden deine Widersacher früher oder später ermatten.«
    Die Stimme eines Freundes hatte Julian sehr lange nicht vernommen, und so muß man ihm die Schwäche nachsehen, daß er in Tränen ausbrach. Gerührt schloß ihn der Abbé in die Arme. Es war ein Moment, gleich wonnesam für beide.
    Julian war toll vor Freude. Das war seine erste Beförderung. Die Vorteile waren beträchtlich. Um sie zu ermessen, muß man dazu verdammt gewesen sein, monatelang, ohne eine Minute des Alleinseins, im engsten Verkehr mit Kameraden zu leben, die zum mindesten lästig, zumeist aber unerträglich sind. Schon ihr Geschrei reichte hin, eine sensible Natur zu verstimmen. Alle diese wohlgenährten und gutgekleideten Bauernjungen empfanden erst dann den vollen Genuß ihrer animalischen Fröhlichkeit, wenn sie recht lärmen konnten.
    Fortan bekam Julian seine Mahlzeiten eine Stunde später als die andern Seminaristen, zunächst allein. Er erhielt einen Schlüssel zum Garten, wo er sich ergehen durfte, wenn kein Mensch darin war.
    Zu seinem großen Erstaunen nahm er wahr, daß er jetzt weniger gehaßt wurde. Er hatte auf eine Verdoppelung des Hasses gerechnet. Sein geheimer, aber zu leicht erkennbarer Wunsch, von niemandem angeredet zu werden, hatte ihm ehedem manchen zum Feinde gemacht. Jetzt wurde das nicht mehr als Zeichen lächerlichen

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