Rot Weiß Tot
Albin. »Es tut mir Leid, wenn er das so verstanden hat«, sagte er.
»Er hat es so verstanden«, gab Vogel ungewohnt scharf zurück.
Ein Image konnte sich erstaunlich schnell ändern, dachte Albin. Wenige Tage zuvor hatte er noch als stiller Schreiber mit dürftigen Kontakten und viel Fleiß gegolten. Erfahrenere Kollegen hatten ihm bereitwillig weitergeholfen, ohne gleich künftige Konkurrenz zu wittern. Jetzt wurde er langsam zum rabiaten Ehrgeizling gestempelt, der Kollegen Beine stellte und unbelehrbar an Holzwegen festhielt.
»Ja«, sagte er, weil er sich Daniels Rat zu Herzen genommen hatte, und bemerkte, dass Vogel wieder eine Pause einlegte.
»Überfordern dich Mordfälle etwa noch?«, fragte Vogel liebenswürdiger. »Es wäre keine Schande.«
Offenbar baute ihm sein Ressortleiter eine goldene Brücke: sein Wohlwollen gegen den Verzicht auf die Heidentor-Morde. Ursi Plank musste ihm in den Ohren gelegen haben. Oder der Herausgeber persönlich.
»Ich habe alles im Griff«, sagte Albin kühl. Im Gefängnis hatte er Konsequenz als wichtigste Tugend im Überlebenskampf erkannt. Auch wenn sie ihm in diesem Moment als Sturheit ausgelegt werden konnte. War er etwa wirklich stur? Egal. »Es wird in dieser Mordserie noch einige Überraschungen geben«, sagte Albin und tat so, als würde er sich schon darauf freuen.
Vogels Lippen wurden schmal. »Hoffen wir es«, sagte er und streifte das Telefon mit einem Blick.
Vogel würde gleich als Nächstes den Herausgeber anrufen. Das wusste Albin. Er zwang sich, nicht darüber nachzudenken, wie er die Sache am Telefon darstellen würde. Vorwärts kam, wer, statt auf seine Feinde zu starren, seine Ziele im Auge behielt.
Als Albin wieder auf seinem Platz saß und die Luft rein war, wählte er umgehend Gregoritschs Handynummer. Doch auch dort meldete sich der Lektor nicht.
Wolfgang Gering, der Hausbesitzer, sah aus wie ein Bison, als Albin ihn am Abend auf dem Flur traf: bulliger Körper, eckige Stirn, breite Nüstern. Albin hatte den ganzen Tag Milliardäre angerufen, um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, er erledige seine Arbeit nicht. »Gut, dass Sie kommen«, sagte Gering. »Ich hatte bei Ihnen geläutet.«
Es war schon düster im Stiegenhaus. Trotzdem betätigte Albin nicht den rot schimmernden Lichtschalter. Vielleicht gehörte Gering ja zu den Menschen, die um jeden Preis Strom sparten. »Der Verkauf der Geräte geht allmählich voran«, sagte Albin. »So ein Muskelprotz will vielleicht den ganzen Krempel auf einmal nehmen.«
»Der war auch bei mir.«
»Bei Ihnen?«
»Er hat die Nummer der Hausverwaltung am schwarzen Brett gefunden. Ich habe ihn an Sie verwiesen. Leider wollte er unbedingt mit mir reden. Hatten Sie ein Problem mit ihm?«
»Vielleicht hatte er eines mit mir.«
Miteinander gingen sie durch das Studio. Gering betrachtete die lichter gewordenen Reihen der Geräte. »Der Bursche zahlt bar und ich habe ein Problem weniger«, sagte der Hausbesitzer halb entschuldigend. Er hatte auf einmal eine Schachtel mit gesalzenen Erdnüssen in der Hand.
Was für eine Woche, dachte Albin. Nomade zu sein war in Ordnung. Wenn er es sich hätte aussuchen können, wäre er freilich lieber erst in ein paar Monaten von diesem Ort weitergezogen. Trotzdem war er Gering nicht böse. Er mochte den Mann, der trotz zweier Herzoperationen heiter geblieben war und sich das Vergnügen des Essens nicht nehmen lassen wollte. »Ich habe keine Angst vor dem Sterben«, hatte Gering einmal zu Albin gesagt. »Es bringt Abwechslung ins Leben.«
Jetzt steckte sich der Hausbesitzer eine Erdnuss in den Mund. »Sie haben sich wohl an Ihr großzügiges Apartment gewöhnt«, sagte er.
»Die Sache war nie für die Ewigkeit gedacht.«
»Ich habe noch einige andere Häuser in der Straße«, erklärte Gering beim Hinausgehen. »Vielleicht fällt mir etwas für Sie ein.«
Jemand würde sich hier einmieten und ein Büro, eine Arztpraxis oder eine Notariatskanzlei daraus machen, dachte Albin, als er wieder allein war. Auch sein eigenes Leben würde weitergehen. Er würde ein Foto von Sarahs Lieblingskraftbank machen, als Erinnerung an eine gute Zeit.
Er schob noch einmal die Kassette mit den Aufzeichnungen des Mordes an Markovics in die Stereoanlage und drehte die Lautstärke hoch. »Es ist vier Uhr morgens«, klang es durch die Räume. »Es ist saukalt. Bald graut der Morgen. Ich weiß, dass Ihr Tonbandgerät die Zeit anzeigt …«
Sarah klopfte an die Tür. Albin ließ sie ein und
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