Rot Weiß Tot
Namenszug war doppelt unterstrichen.
Albin sah sich absichtlich nicht um. Wahrscheinlich hatte sie ihn schon entdeckt. Er wollte ihrem Blick nicht begegnen. Zweifellos stand sie in der ersten Reihe der rund zwei Dutzend Radiojournalisten, Zeitungsschreiber und Fachredakteure von Werbemagazinen.
Stern nahm am Kopfende des Tisches Platz. Er saß zwischen seiner Frau und einem bleichen Jungen in Albins Alter, der vergeblich elegant zu wirken versuchte. Seine Krawatte sah wie ein Firmungsgeschenk seiner Großmutter aus und sein Sakko war viereckig. Links von Edith Stern saß ein an einer Plakette erkennbarer Interdental-Manager.
Albin fühlte sich unbehaglich. Ursi Plank würde Vogel erzählen, dass er sich während der Schlussproduktion auf einer Pressekonferenz herumgedrückt hatte, die ihn nichts anging. Trotzdem blieb er. Sollte sich Vogel aufs Neue beschweren, würde er auch damit fertig werden.
»Ich freue mich über Ihr Interesse«, sagte Edith Stern in das ersterbende Murmeln der Journalisten hinein.
Sie berichtete fünf Minuten lang über das abgelaufene Projekt ihres Mannes. Als sie ihn als Künstler be zeichnete, ging ein Schmunzeln durch die Reihen. Sie ließ sich nicht davon irritieren.
Der Zahnpasta-Manager erklärte, dass sein Unternehmen hinsichtlich der Resultate der abgelaufenen Kooperation mit den Sterns sehr zufrieden und dass Interdental-Zahnpasta, die beste der Welt, ab jetzt auch auf dem europäischen Markt erhältlich sei.
Ralf Stern schien sich jeder Stellungnahme enthalten zu wollen. Da ließ Ursi Plank ihr schrilles Organ hören. »Was war Ihr erster Satz nach dem langen Schweigen, Herr Stern?«
Stern rückte sich in seinem Stuhl zurecht. Es wurde wieder still. Als er den Mund zum Sprechen öffnete, kam Spannung auf. »Schweine …«, sagte er schließlich im gleichen Tonfall wie zuvor zu Albin. Ursi Plank zuckte zurück, als hätte sie eine schallende Ohrfeige bekommen.
»Schweine brauchen soziale Kontakte, abwechslungsreiche Ernährung und viel Auslauf«, vollendete Stern seinen Satz.
Irritiert starrten die Anwesenden Stern, seine Frau und Ursi Plank an.
»Bei dieser Gelegenheit möchte ich Ihnen Michael Bender vorstellen«, sagte Edith Stern und wies auf den bleichen Jungen, der umgehend knallrot wurde. Er entpuppte sich als Referent für Schweine und Geflügel der österreichischen Tierschutzorganisation »Art und Schutz«. Mit dieser Gruppe, verkündete Edith Stern, habe ihr Mann seinen nächsten Künstlervertrag abgeschlossen. Und zwar unentgeltlich.
Das enge Verhältnis ihres Mannes zu einem Konzern habe manchmal über den künstlerischen Aspekt seiner Arbeit hinweggetäuscht, sagte Edith Stern. Vielfach sei das Projekt als gut bezahlter Werbegag missverstanden worden. Um dem entgegenzuwirken und gleichzeitig etwas Gutes zu tun, finde es nun für ein Jahr diese Fortsetzung.
»Schweine«, fing Stern wieder an, »brauchen soziale Kontakte, abwechslungsreiche Ernährung und viel Auslauf.«
Ein paar Journalisten grinsten, einige tuschelten, mehrere kratzten sich am Kopf und andere machten sich unbeeindruckt Notizen. »Der Mann gehört doch ins Irrenhaus«, wisperte jemand.
Albin dachte, dass Sterns Meinung über seine Mitmenschen wohl in der Pause lag, die der Mann jedes Mal zwischen dem Wort »Schweine« und dem Rest des Satzes machte. Er selbst griff sich eine der dezenten Pressemappen und fuhr zurück zur Redaktion.
»Kollege Albin. Wie ist der Stand der Dinge?«
May hatte bei Daniel eine Bitte um Rückruf hinterlassen. Albin war ihr umgehend nachgekommen. »Genau wie besprochen«, antwortete er.
»Nichts Neues inzwischen? Ich frage, weil wir wenig Platz bei den Kurzmeldungen haben.«
»Was heißt das?«
»Falls es weitere Morde gibt, bringen wir in der übernächsten Woche eine große Geschichte. Einverstanden?«
»Wir sollten schon diese Woche etwas haben. Der Fall wird immer brisanter.«
Der Chronikchef stieß ein ungeduldiges Ächzen aus.
»Du entscheidest«, sagte Albin.
»Danke für deine Großzügigkeit.« May legte auf.
Albin war nicht wütend. May hatte einen Fehler gemacht, den er früh genug bereuen würde. Er spürte, dass sich rund um das antike Monument eine halbe Fahrstunde östlich von Wien wieder etwas zusammenbraute.
Vogel trat neben ihn. »Schreibst du nun etwas für die Chronik?«
Albin gab sich gleichgültig. »Die Geschichte ist aus dem Blatt gefallen.«
»Wirklich? Das tut mir Leid.«
»Ja«, sagte Albin.
Sein erster Impuls wäre
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