Rot Weiß Tot
wurde bei eitlen Menschen von der Aussicht auf bevorstehende Medienpräsenz generiert. »Solange Sie mir kein Manuskript geschickt haben, ist es in Ordnung. Als Lektor wird man ständig von Dilettanten belästigt, die sich für Schriftsteller halten.«
»Es geht um den Mordfall Ronald Markovics.« »Darüber sollten wir persönlich sprechen.«
»Genau darum wollte ich Sie bitten.«
»Ich stecke mitten in der Arbeit für die Frühjahrsproduktion, doch so viel Zeit, einem jungen Journalisten zu helfen, muss immer sein.«
»Ich habe Ihnen noch nicht mein Beileid ausgedrückt. Es muss Sie hart getroffen haben.«
»Emotional war die letzte Woche für mich eine Achterbahn, falls Sie das meinen. Ich hielt Marko für tot. Ich war darüber hinweg. Sein tatsächlicher Tod hat meine Trauer wieder zum Leben erweckt.«
»Waren Sie enge Freunde?«
»Ich bin ein Einzelgänger. Ich habe eigentlich keine Freunde. Marko war allerdings so etwas Ähnliches.«
Albins Terminkalender bestand aus einem zerknitterten Zettel in seiner Brieftasche. Dort notierte er seine Verabredung mit dem Lektor. Er fragte sich, was der Unterschied zwischen einem Freund und so etwas Ähnlichem wie einem Freund war. Gleich darauf war er zum zweiten Mal in dieser Woche auf dem Weg zu Chefinspektor Damian Bergmann ins Domcafé.
»Ah, der Herr Redakteur. Was schreiben Sie diese Woche für eine Geschichte?«
Bergmann saß am gleichen Tisch wie beim letzten Mal. Ein dickes Kuvert lag vor ihm. Statt der sommerlichen Jacke trug er diesmal ein warmes Wollsakko. Auch jetzt stand eine Tasse Kräutertee vor ihm. Sein Begrüßungslächeln wirkte gequält.
»Über eine amerikanische Kaffeehauskette.«
»Ist endlich eine von denen pleite?«
»Es geht um einen Markteintritt.«
»Ein Jammer«, sagte Bergmann und blickte traurig zum Fenster hinaus. »Das ist der wahre amerikanische Imperialismus. Im Kohlmarkt gibt es nur noch internationale Luxusmarken statt der guten alten Wiener Nobelläden, und überall schießen diese Coffeeshops aus dem Boden. Wenn ich bloß das Wort höre, wird mir schlecht.«
»Sie florieren.«
»Waren Sie schon einmal in so einem Schnellcafé? Wissen Sie, was das Lächerlichste daran ist? Alles ist englisch, die Karte, die Tafeln, einfach alles. Den Leuten scheint es peinlich geworden zu sein, in ihrer guten alten Muttersprache zu reden. Und wenn man sie darauf aufmerksam macht, gilt man gleich als Trottel von gestern. Ich hoffe, Sie beschreiben auch diese Seite der Medaille.«
»Ich schreibe keine Kommentare, sondern sachliche Artikel.«
»Dann zitieren Sie eben jemanden, der so denkt. Sie haben es ja in der Hand, als Redakteur.«
»Redakteur ist übrigens kein Titel.«
»Nein? Was sonst?«
»Eher eine Lebenseinstellung.«
»Mich nennen Sie ›Herr Kommissar‹, obwohl ich ein Oberinspektor, vulgo Chefinspektor, bin. In Wien gibt es einen Baumeister, der mit ›Herr Baumeister‹ angesprochen wird. Also müssen Sie sich in Ihr Schicksal fügen.«
»Den Baumeister kenne ich.«
»Mich werden Sie auch bald kennen lernen.«
»Wie sind Sie denn?«
Bergmann klopfte sich eine Golden Smart aus einer Weichpackung, die völlig glatt war, obwohl sie nur noch zwei oder drei Zigaretten enthielt. »Anfangs bin ich noch zurückhaltend. Je vertrauter mir jemand wird, desto rüder wird mein Tonfall. Das sagen zumindest meine Freunde. Und wenn mich jemand verarscht, dann loche ich ihn einfach ein.«
Bergmann zündete seine Zigarette an.
Albin bestellte Kaffee und warf einen Blick auf das Kuvert. Bergmann hatte anscheinend nicht vor, ihn einzulochen. Sonst hätte er es wohl gar nicht mitgebracht. »Sie sind bereit für unser Geschäft?«, fragte er.
»Ich bin bereit, Ihnen in den Arsch zu treten.«
»Ich scheine Ihnen ja schon sehr vertraut geworden zu sein.«
»Das sind Sie tatsächlich. Ich weiß zum Beispiel jetzt, dass Sie drei Jahre im Jugendstrafvollzug verbracht haben. Genauer: in der Vollzugsanstalt Waldau.«
Albin schluckte. Es hatte so kommen müssen. Er war darauf vorbereitet gewesen, wie ein Skiabfahrtsläufer auf die entscheidende Steilpassage. Er war die Situation in Gedanken durchgegangen und hatte sich die passenden Antworten auf alle möglichen Fragen überlegt. Trotzdem kam es jetzt überraschend.
»Sind Sie etwa beleidigt?«, fragte Bergmann.
»Wenn mir langweilig ist, stochere ich auch gerne im Leben anderer Leute herum.«
»Sie sind also beleidigt.«
Bergmann öffnete das Kuvert und holte mit maliziösem Lächeln
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