Rot wie das Meer
Erinnerung besser schmeckt. Aber ich weiß nicht, wie ich das hier in meiner Erinnerung noch übertreffen sollte.«
Finn ist vollauf zufrieden. Man könnte beinahe den Eindruck gewinnen, er habe den Kuchen selbst gebacken. Trotzdem sehe ich einen bittersüßen Ausdruck über Hollys Gesicht huschen; mir kommt der Gedanke, dass die Insel möglicherweise schon angefangen hat, ihn in ihren Bann zu ziehen, was ihn mir nur noch sympathischer macht. Jemand, der sich von Thisby verführen lässt, kann kein schlechter Mensch sein.
Holly fragt: »Finn, wärst du vielleicht so nett, uns eine zweite Tüte zu besorgen, damit wir das Ganze aufteilen können? Und, wenn ich dir das hier gebe, vielleicht noch so einen Novemberkuchen, für den Weg ins Hotel? Und damit deine andere Hand sich nicht so leer anfühlt, bring dir selbst auch noch einen mit.«
Als Finn weg ist, wendet sich Holly an mich. »Puck, ich weiß, dass ich meine Nase jetzt so weit in Ihre Angelegenheiten stecke, dass es vielleicht kein Zurück mehr gibt. Aber es gibt ein paar Leute, die Sie wirklich nicht da unten am Strand sehen wollen. Ich bin mir nicht sicher, ob Ihnen das bewusst ist.«
Ich denke an Peg Gratton, die mir geraten hat, niemand anderen meinen Sattelgurt festziehen zu lassen. Mit einem Mal vergeht mir
der Appetit auf mein klebriges Frühstück. »Mir ist da so was zu Ohren gekommen, ja.«
George Hollys Gesicht wirkt aufrichtig besorgt. »Sie sind die Erste, oder? Die erste Frau?«
Es ist seltsam, als Frau bezeichnet zu werden, aber ich nicke.
»Das Gerede da unten hört sich ziemlich übel an«, erklärt er. »Ich würde mich niemals einmischen, wenn ich nicht das Gefühl hätte, es könnte gefährlich werden.«
Erstaunlich, wie schnell George Holly zu einem von uns geworden ist – da reite ich bei einem Rennen gegen ein paar Dutzend Capaill Uisce mit und alles, wovor er mich warnt, sind die Männer.
»Ich weiß, dass ich niemandem trauen kann«, erwidere ich. »Außer ... «
Holly studiert mein Gesicht. »Sie mögen ihn wirklich, nicht wahr? Was ist diese Insel doch für ein seltsamer, wunderbarer, verklemmter Ort.«
Ich starre ihn an, erleichtert, dass ich inzwischen über das Erröten erhaben zu sein scheine, oder vielleicht kann ich auch einfach bloß nicht mehr röter werden. »Ich bin nicht diejenige von uns beiden, die sich von drei Schwestern mit viereinhalb Augen einwickeln lässt.«
Holly stößt ein herzhaftes Lachen aus. »Nur zu wahr.«
Dove versucht, mir meinen Novemberkuchen zu stibitzen, und ich schiebe ihren Kopf mit dem Ellbogen weg. »Annie ist schon in Ordnung«, räume ich ein. »Finden Sie sie hübsch?«
»Oh ja.«
»Sie findet Sie bestimmt auch ganz annehmbar«, erwidere ich. Dann werfe ich ihm ein verschmitztes Lächeln von der Seite zu. »Schließlich kann sie auch nicht weiter als eine Armeslänge sehen. Aber ich würde mich an Ihrer Stelle nicht darauf verlassen, dass sie Ihnen jemals solche Kuchen hier backt. Es gibt einen Grund, warum die Bäckerei voller Frauen ist. Thisby-Frauen sind stinkefaul.«
»So stinkefaul wie Sie?«
»Ungefähr, ja.«
»Ich glaube, damit könnte ich leben.« Er blickt auf; Finn ist gerade mit zwei Tüten in den Händen in der Ladentür erschienen und kommt nun mit fröhlichem Gesicht auf uns zu. Holly raunt mir zu: »Ich wünsche Ihnen alles nur erdenkliche Glück, Miss Connolly. Und ich hoffe, Sie warten nicht, bis Sean Kendrick von selbst begreift, wie einsam er ist.«
Womit warten?, hätte ich am liebsten gefragt, aber Finn ist nun bei uns angekommen und dies ist keine Angelegenheit, die ich in Gegenwart eines meiner Brüder erörtern möchte.
Also tauschen wir nur noch ein paar Höflichkeiten aus, bevor Holly seiner Wege geht, um sich das Training am Strand anzusehen. Ich will mit Dove zur Klippe und Finn zurück zu Dory Maud, um sich nützlich zu machen.
»Hast du seinen Akzent gehört?«, fragt Finn.
»Ich bin ja nicht taub.«
»Wenn ich Gabe wäre, würde ich nach Amerika gehen statt aufs Festland.«
Diese Bemerkung verdirbt mir jegliche gute Laune, die gerade dabei war, in meiner Seele aufzukeimen. »Wenn du Gabe wärst, hättest du jetzt eine Ohrfeige sicher.«
Finn ist völlig unbeeindruckt. Er tätschelt Dove liebevoll den Hintern und macht sich dann auf den Weg.
»He.« Ich winke ihn zurück und nehme mir noch zwei Kuchen aus seiner Tüte. »Jetzt kannst du gehen.«
Finn trabt selig davon, so leicht mit ein bisschen Essen zufriedenzustellen. Während ich
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