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Rot wie das Meer

Titel: Rot wie das Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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sowieso das Training ansehen.« Ich beschließe, dass ich ihn mag. Daran mag auch sein fesches Aussehen nicht ganz unschuldig sein, aber die schlaue Antwort tut ihr Übriges.
    »Dann solltest du mit ihm wenigstens bei Palsson vorbeigehen und ihm einen von diesen Novemberkuchen besorgen. Obwohl Annie ja auch immer welche backt und die sind noch viel besser als die von Palsson«, plappert Dory Maud. »Sie hat gerade noch gesagt, dass sie
    gern welche für Sie machen würde, Mr Holly, aber natürlich war dazu gar keine Zeit. Wenn ihr euch welche bei Palsson kauft, könnt ihr euer Frühstück ja einfach mitnehmen.«
    Hollys Lächeln scheint den ganzen Raum mit seinem Strahlen zu erfüllen; Dory Maud und Elizabeth wirken beide wie hypnotisiert.
    »Vielleicht darf ich Sie ja zu einem von diesen Dingern einladen, Puck?«, fragt Holly. »Und Ihren Bruder auch?«
    Ich bin kurz davor, mich unter dem bedeutungsvollen Blick, den Elizabeth mir zuwirft, zusammenzukrümmen. Ich hab dir ja gesagt, er ist ein reicher Amerikaner und er ist sehr großzügig, scheint er zu schreien. Ich funkele sie und Dory Maud finster an. »Sehr gern. Und Dory, wenn du mir ein bisschen Geld mitgibst, kaufe ich gern noch ein paar mehr ... für Annie.«
    Einen Moment lang tragen wir mit unseren Blicken einen lautlosen Kampf aus, bis Dory Maud sich schließlich geschlagen gibt und mir ein paar Münzen zusteckt. Und so wird George Holly von zwei triumphierenden Connollys flankiert, als er den Laden verlässt. Er beobachtet mich interessiert dabei, wie ich Dove losbinde, und ich beobachte ihn noch interessierter dabei, wie er mich beobachtet. Aus der Art, wie er Dove mustert – von der Stellung der Hinterhand über die Oberlinie bis zur Winkelung der Schulter –, schließe ich, dass er kein gewöhnlicher Tourist ist. Ich frage mich, wie gut er Sean wohl kennt.
    »Sie wissen schon«, fragt Finn, gut gelaunt über die Aussicht auf Essen, als wir uns auf den Weg zurück zu Palsson machen, »dass Annie blind ist, oder?«
    »Nicht ganz«, korrigiert Holly ihn. »Nicht ganz blind, meine ich.«
    »Das haben sie Ihnen erzählt?«, ruft Finn. Ich starre die beiden an. Wer ist dieser Mann, der Finn so schnell so laut werden lässt?
    »Ja«, erwidert Holly freundlich. Dann legt er den Kopf schräg und fragt: »Also, was genau sind denn jetzt diese Novemberkuchen?«
    In seiner Frage liegt so viel aufrichtige Neugier, dass Finn natürlich direkt weiterplappert und bis ins Detail den saftigen Teig, die süße,
    daraus hervortriefende Füllung und die Glasur, die in den Teig sickert, bevor man sie ablecken kann, beschreibt. Ich glaube nicht, dass ich in meinem Leben jemals etwas Rührenderes gesehen habe als George Holly, der sich von meinem Bruder Backwaren erklären lässt. Als Holly kurz zu mir herübersieht, werfe ich ihm einen scharfen Blick zu, der so gar nicht in die Kategorie »so charmant wie möglich« passt, wie mir im nächsten Moment klar wird. Aber ich bin auch nicht ganz sicher, ob der clevere, freundliche George Holly sich so leicht um den Finger wickeln lassen würde, wie Dory Maud und Elizabeth zu glauben scheinen.
    Gemeinsam betreten wir die Bäckerei. Ich gebe mir alle Mühe, gleichgültig zu wirken, aber es ist schwierig, sich nicht voll und ganz dem köstlichen Duft hinzugeben, der die Luft erfüllt. Zimt und Honig und Hefe. Der Laden liegt an einer Straßenecke und scheint nur aus Fenstern und Licht zu bestehen. Naturbelassene Holzregale mit offenen Rückseiten ziehen sich die gläsernen Wände entlang, sodass das Sonnenlicht ungehindert durch die Scheiben sickert und goldene Quadrate auf den Boden zeichnet. Jedes Regalbrett biegt sich unter Brot und Plätzchen, Zimtschnecken und Novemberkuchen, Teegebäck und Törtchen. Die einzige etwas nüchternere Wand ist die hinter dem Verkaufstresen, wo Säcke voller Mehl darauf warten, zu Brot verarbeitet zu werden. Ich kann sogar das Mehl riechen, einfach weil es in solch riesigen Mengen dort lagert und schon allein für sich süß und verführerisch wirkt. Alles hier ist golden und weiß, aus Honig und Nektar, sodass ich am liebsten einziehen und zwischen den Mehlsäcken schlafen würde.
    Wie immer herrscht bei Palsson ein riesiger Andrang von Kunden und Hausfrauen, die offenbar der Meinung sind, dass es sich in der Nähe von anderer Leute Backerzeugnissen am besten plaudern lässt. George Holly erntet Blicke und Geflüster, als er und Finn an den Regalen vorbeischlendern und sich schließlich in die

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