Rot wie das Meer
in einer Hand meine Kuchen balanciere, nehme ich mit der anderen Doves Zügel und führe sie in Richtung der Klippen. George Hollys Bemerkung darüber, dass Essen in der Erinnerung besser schmeckt, fällt mir wieder ein. Sie kommt mir eigenartig vor, verwöhnt, denn sie setzt voraus, dass man nicht nur den einen Moment hat, in dem man den ersten Bissen nimmt, sondern noch viele weitere Momente, die sich an diesen ersten reihen und
durch die dieser Mundvoll erst zu einer Erinnerung werden kann. Meine Zukunft ist nicht so gewiss, dass ich mir darüber Gedanken machen kann, was später aus diesem Geschmack werden wird. Und der Novemberkuchen schmeckt auch in der Gegenwart ziemlich köstlich.
51
Sean Als Puck oben auf der Klippe ankommt, warte ich schon auf sie. Und ich bin nicht der Einzige; etwa zwei Dutzend Touristen haben sich in den Felsnischen eingerichtet und beobachten Corr und mich von so Nahem, wie sie es nur wagen. Puck wirft ihnen finstere Blicke zu, sodass einige erschrocken zusammenzucken. Ich bin nicht sicher, worauf ich mich nach letzter Nacht einstellen soll. Ich weiß nicht, was ich zu ihr sagen soll. Ich weiß nicht, was sie von mir erwartet und was ich von mir selbst erwarte.
Was ich schließlich bekomme, sind ein wortloser Gruß und ein Novemberkuchen, der mir in die Hand gedrückt wird. Schweigend sitzen wir da und essen jeder einen Kuchen unter den wachsamen Blicken der Touristen, bis wir uns schließlich die klebrigen Hände am Gras abwischen.
Puck zieht eine Grimasse in Richtung der Zuschauer. »Dove hat Angst vor den Wasserpferden.«
»Das sollte sie auch.«
Sie wirft mir einen ungeduldigen Blick zu. »Tja, aber für das Rennen ist das wohl nicht so gut, oder?«
Ich sehe zu ihrer Stute auf. Sie ist sich Corrs Anwesenheit sehr bewusst, aber verängstigt wirkt sie nicht. »Sie muss sich ja nicht in sie verlieben«, erwidere ich. »Ein bisschen Respekt lässt sie vielleicht sogar schneller laufen. Solange du keine Angst vor ihrer Angst hast.«
Ich sehe, wie Puck darüber nachdenkt und ihre Gedanken ordnet. Ihre Augen sind schmal, als sie Corr mustert, und ich frage mich, ob sie gerade an unseren Ritt hier oben auf den Klippen denkt.
»Meinetwegen mache ich mir keine Sorgen«, entgegnet sie. Sie blickt mich an, als sei das eine Frage, aber wenn es eine ist, dann kann nur sie selbst sie beantworten.
»Fertig fürs Training?«, frage ich sie.
Und wir trainieren.
Corr ist nicht im Geringsten müde von unserem Ritt in der Nacht zuvor und Pucks Pferd ist frisch und begierig auf das Laufen im Wind. Wir spielen Fangen, galoppieren und liefern uns kleine Rennen. Ich hänge sie ab, doch sobald Corr irgendetwas ablenkt, ist Puck plötzlich neben uns und die Ohren ihrer sandfarbenen Stute sind vorwitzig aufgestellt. Wir passen unsere Geschwindigkeit aneinander an, reiten kein Rennen mehr, sondern lassen unserer Pferde einfach bloß laufen um des Laufens willen.
Ich vergesse, dass ich trainiere, vergesse, dass es nur noch wenige Tage bis zum Rennen sind, vergesse, dass sie auf einem Inselpony reitet und ich auf einem Capaill Uisce sitze. Es gibt nur noch den Wind in meinen Ohren und den zarten Schwung ihres flüchtigen Lächelns und das vertraute Gewicht von Corr in meinen Händen.
Dann ist eine Stunde vorbei, ohne dass ich es bemerkt habe, und ich muss Corr zügeln. Ich will nicht, dass er sich überanstrengt. Auch Puck hält Dove an. Einen Moment lang sehe ich, dass sie etwas sagen will; ihre Zunge presst sich gegen ihre Zähne. Doch am Ende wiederholt sie nur meine eigenen Worte. »Wir sehen uns morgen auf der Klippe.«
Puck Sean ist am nächsten Tag da und an dem darauf und auch dem folgenden. Ich rechne nicht damit, ihn am Sonntag zu sehen, denn in der Kirche ist er mir noch nie begegnet, obwohl ich nicht weiß, was er macht, wenn er nicht zur Messe kommt. Als ich jedoch nach dem Gottesdienst zur Klippe spaziere, sitzt er da, den Blick auf den Strand gerichtet.
Wir sehen beim Training zu, ohne mehr als nur ein paar Worte zu wechseln, und am nächsten Tag haben wir beide wieder unsere Pferde dabei. Manchmal reiten wir gegeneinander, manchmal trainieren wir ein Stück voneinander entfernt, aber immer in Sichtweite. Hin und wieder muss ich daran denken, wie sich Seans Daumen auf mein Handgelenk gepresst hat, und träume davon, dass er mich wieder berührt. Die meiste Zeit aber denke ich über den Ausdruck in seinen Augen nach, wenn er mich ansieht – Respekt –, und dann kommt mir der
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