Rot wie die Liebe
leise.
»Ich habe selten Gelegenheit zu einem Morgenspaziergang.«
Er sagte das leichthin, aber sie spürte, was dahinter stand. »Ich danke dir, dass du gerade diesen Morgen für deinen Spaziergang gewählt hast.«
»Die Sonne geht auf«, sagte Riddock. »Die Leute warten.«
Moira nickte und setzte die Kapuze auf, wie es Sitte war, bevor sie aus dem Haus in die Dämmerung trat.
Die Luft war kühl und dunstig. Ein leichter Wind hob die Nebel, als Moira über den Hof zu den Toren ging. Alle anderen folgten ihr, die Straße entlang und dann über das grüne Gras, das so feucht von Tau war, dass man das Gefühl hatte, durch einen Fluss zu waten. Sie wusste, dass alle hinter ihr hergingen, Kaufleute und Handwerker, Harfenspieler und Barden. Mütter und Töchter, Soldaten und Söhne.
Ein rosiger Streifen zeigte sich im Osten am Himmel, und der Bodennebel funkelte silbern.
Es roch nach Fluss und nach Erde, und sie stieg die leichte Anhöhe hinauf. Tau benetzte den Saum ihres Gewandes.
Der Stein stand auf einer kleinen, von Bäumen umstandenen Lichtung. Auf den Felsen, die die heilige Quelle umgaben, wuchsen hellgelbe Flechten und grünes Moos.
Im Frühling würden hier fröhlich orangefarbene Lilien wachsen und später dann Fingerhut. Aber jetzt schliefen die Blumen, und die Blätter hatten sich bereits verfärbt.
Der Schwertstein war breit und weiß, wie ein Altar lag er auf einem uralten, grauen Dolmen.
Durch das Laub und den Dunst hindurch drangen die ersten Sonnenstrahlen und brachten den Silberknauf des Schwertes, das in dem weißen Stein steckte, zum Funkeln.
Ihre Hände waren plötzlich eiskalt.
Ihr ganzes Leben lang kannte sie die Geschichte schon. Die Götter hatten das Schwert aus einem Blitz, dem Meer, der Erde und dem Wind geschmiedet. Morrigan selbst hatte den Altarstein und das Schwert an diesen Ort gebracht. Und dort hatte sie es bis zum Knauf hineingestoßen und mit feurigem Finger die Worte in den Stein geschrieben.
Hineingestoßen von der Hand der Götter
Herausgezogen von der Hand eines Sterblichen
Der mit diesem Schwert Geall regieren wird.
Am Fuß des Steins blieb Moira stehen, um die Worte noch einmal zu lesen. Wenn die Götter es so bestimmten, war es ihre Hand.
Mit wehendem Mantel trat sie durch das taunasse Gras auf ihren Platz hinter dem Stein.
Zum ersten Mal blickte sie auf. Hunderte von Menschen, ihr Volk, hatten sich versammelt. Wenn sie das Schwert herauszog, war sie für jeden Einzelnen verantwortlich.
Ihre Hände waren kalt und zitterten.
Sie zwang sich, ruhig zu bleiben, während die drei heiligen Männer hinter ihr Aufstellung nahmen.
Es kamen immer noch Menschen angelaufen, deshalb wartete sie noch ein wenig, bevor sie zu ihnen sprach, und blickte die an, die sie am meisten liebte.
»Mylady«, murmelte einer der heiligen Männer.
»Ja. Einen Moment noch.«
Langsam löste sie die Brosche und reichte ihren Umhang nach hinten. Ihre weiten Ärmel glitten zurück, als sie die Arme hob, aber sie spürte die Kälte auf ihrer Haut nicht. Ihr war heiß.
»Ich bin eine Dienerin Gealls«, rief sie aus. »Ich bin ein Kind der Götter. Ich stehe hier an diesem Ort, um mich beiden zu beugen. Mit meinem Blut, meinem Herzen, meinem Geist.«
Dann trat sie auf den Stein zu.
Es war jetzt totenstill. Sogar die Luft schien den Atem anzuhalten, als Moira den Arm ausstreckte und die Hand um den silbernen Schwertknauf legte.
Oh, dachte sie, als sie die Hitze spürte, die davon ausging. Ja, natürlich, es ist mein.
Das war es schon immer.
Mit Leichtigkeit zog sie es heraus und hob die Spitze zum Himmel.
Sie wusste, dass sie jubelten und dass einige weinten. Sie wusste, dass sie alle die Knie beugten. Ihre Augen jedoch waren auf die Spitze gerichtet und auf den Lichtblitz, der vom Himmel darauf herunterging.
Sie spürte das Licht in sich. Dann brannte es plötzlich auf ihrem Arm, und als ob die Götter es eingeritzt hätten, bildete sich das Zeichen des Claddaugh, um sie als Königin von Geall zu kennzeichnen. Freudig und demütig zugleich blickte sie auf ihr Volk, und ihre Augen begegneten Cians.
Einen Augenblick lang schien alles andere sich aufzulösen. Es gab nur noch ihn und seine strahlend blauen Augen.
Wie konnte es sein, dass sie ihr Schicksal in der Hand hielt und dabei nur ihn sah?, fragte sie sich unwillkürlich.
»Ich bin eine Dienerin Gealls«, sagte sie, ohne den Blick von ihm zu wenden. »Ich bin ein Kind der Götter. Dieses Schwert und alles, was es schützt, ist
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