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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Arm.
    »Kein Ehering. Keine sichtbaren Blutergüsse. Riecht, als könnte er ein Bad gebrauchen.«
    »Harry?« sagte Toby. »Tut Ihnen irgend etwas weh? Haben Sie irgendwelche Schmerzen?«
    »Machen Sie das Licht aus. Ich will ins Bett.«
    »Harry …«
    »Bei diesem Licht kann ich nicht schlafen.«
    »Blutdruck hundertfünfzig zu achtzig«, sagte Maudeen. »Puls bei hundert, regelmäßig.« Sie nahm das elektronische Thermometer. »Komm, Süßer. In den Mund damit.«
    »Ich habe keinen Hunger.«
    »Das ist nicht zum Essen, mein Lieber. Ich will nur Ihre Temperatur messen.«
    Toby trat für einen Moment einen Schritt zurück und sah den Mann nur an. Er konnte alle Glieder bewegen, und wenn er auch eher dünn war, wirkte er doch ordentlich ernährt. Seine Muskeln waren schlank und zäh. Was sie störte, war seine mangelhafte Körperpflege. Die grauen Bartstoppeln in seinem Gesicht waren mindestens schon eine Woche alt, und die Fingernägel waren schmutzig und ungeschnitten. Und was den Geruch anging, hatte Maudeen recht. Harry brauchte eindeutig ein Bad.
    Das elektronische Thermometer piepte. Maudeen zog es ihm aus dem Mund und runzelte beim Ablesen die Stirn. »Siebenunddreißig neun. Sie fühlen sich wohl, mein Bester?«
    »Wo ist mein Pyjama?«
    »Junge, Sie können aber auch nur an eines denken.«
    Toby leuchtete mit einer Minitaschenlampe in seinen Mund und zählte fünf Goldkronen. Man mußte sich nur die Zähne eines Menschen ansehen, dann konnte man eine Menge über seinen sozioökonomischen Status erfahren. Goldfüllungen und Goldkronen bedeuteten Mittelklasse oder mehr. Zerklüftete Zähne und Karieslöcher bedeuteten leeres Bankkonto. Oder eine selbstzerstörerische Angst vorm Zahnarzt. Sein Atem roch nicht nach Alkohol und auch nicht fruchtig, was auf Diabetes-Ketose hätte schließen lassen.
    Sie begann mit der äußeren Untersuchung des Schädels, fuhr mit den Fingern über die Kopfhaut, entdeckte aber keine auffallenden Frakturen oder Schwellungen. Auch die Pupillenreflexe, die sie mit der Lampe prüfte, waren normal. Das gleiche galt für die Bewegung der Augen und den Schluckreflex. Alle Kranialnerven schienen intakt.
    »Gehen Sie doch endlich«, sagte er. »Ich möchte schlafen.«
    »Haben Sie sich irgendwo verletzt, Harry?«
    »Ich finde meinen verdammten Pyjama nicht. Haben Sie mir den weggenommen?«
    Toby sah Maudeen an. »Okay, nehmen wir ihm jetzt etwas Blut ab. Ganzes Blutbild. Toxisch bedingte Veränderungen, Sauerstoffsättigung. Dann Elektrolysewerte, Glucotest. Vielleicht müssen wir auch die Blase katheterisieren.«
    »Alles klar.« Maudeen hielt schon Staubinde und Aufziehspritze bereit. Val hielt den Arm des Mannes, Maudeen nahm das Blut ab.
    Der Patient schien den Nadelstich in die Vene kaum zu spüren.
    »In Ordnung, mein Bester«, sagte Maudeen und drückte etwas Mull auf die Einstichstelle. »Sie sind ein sehr guter Patient.«
    »Wissen Sie, wo ich meinen Pyjama gelassen habe?«
    »Ich besorge Ihnen gleich einen neuen. Warten Sie einen Augenblick.« Maudeen sammelte die Röhrchen mit den Blutproben ein.
    »Ich schicke Sie erst einmal unter Mr. Mustermann ins Labor.«
    »Er heißt nicht Myer oder Miller und auch nicht Mustermann«, sagte einer der Cops, »sondern Harry Slotkin.« Er war mittlerweile vom Streifenwagen zurück und stand nun mit Harrys Hosen in der Tür. »Habe seine Brieftasche gecheckt. Nach seiner I.D.-Karte ist er sechsundsiebzig Jahre alt und wohnt 119 Titwillow Lane. Das ist weiter geradeaus in dem neuen Brant-Hill-Wohnpark.«
    »Die nächsten Verwandten?«
    »Es gibt eine Notiz für Notfälle. Man soll einen Daniel Slotkin verständigen. Eine Telefonnummer in Boston.«
    »Ich rufe ihn an«, sagte Val. Sie ging hinaus und zog den Trennvorhang hinter sich zu.
    Toby blieb allein bei ihrem Patienten. Sie setzte die Untersuchung fort, hörte Herz und Lunge ab, tastete den Bauch ab, fühlte die Sehnen. Sie pikte, stocherte, drückte, fand aber nichts Ungewöhnliches. Vielleicht ist es tatsächlich Alzheimer, dachte sie, trat wieder einen Schritt zurück und studierte den Patienten. Die Anzeichen eines Alzheimer kannte sie nur zu gut: das zerbröselnde Gedächtnis, die nächtliche Herumwanderei. Das Auseinan-derfallen der Persönlichkeit, der langsame Verfall Stück für Stück. Dunkelheit machte diese Patienten unruhig.
    Wenn das Tageslicht nachließ, schwand auch ihr visueller Bezug zur Wirklichkeit. Vielleicht war Harry Slotkin ein Opfer des Sonnenuntergangs – die

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