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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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noch warm an. Der ausgestreckte Arm war braun und muskulös.
    »Entschuldigen Sie, wenn ich das so sage, Doc, aber das sieht gar nicht gut aus.«
    »Was?«
    »Daß Sie mit der Frau Doktor herumfahren.«
    Dvorak richtete sich auf und sah Scarpino an. »Verzeihung, was meinen Sie damit?«
    »Gegen sie wird ermittelt. Soviel ich gehört habe, wird ihre Mutter nicht überleben.«
    »Was haben Sie sonst noch gehört?«
    Scarpino zögerte einen Moment und betrachtete die Menge in der Gasse. »Daß es neue Erkenntnisse geben soll. Alprens Leute checken die Apotheken in der ganzen Stadt. Er hat eine solide Spur. Wenn die Mutter stirbt, geht der Fall an die Mordkommission, und dann sieht das gar nicht gut aus. Sie und die Ärztin, wie sie beide zusammen hier an einem Tatort auftauchen.«
    Dvorak zog die Handschuhe aus. Ihn packte eine plötzliche Wut auf Scarpino. Die letzten Stunden, die er mit Toby Harper verbracht hatte, hatten ihn überzeugt, daß sie nicht gewalttätig sein könnte: Schon gar nicht gegenüber ihrer eigenen Mutter.
    »Mist, da drüben stehen schon ein paar Reporter herum«, sagte Scarpino. »Die kennen Sie alle. Und bald kennen sie auch Dr. Harpers Gesicht. Dann erinnern sie sich, daß sie Sie zusammen gesehen haben, und peng!, schon sind Sie auf der Titelseite.«
    Er hat recht,
dachte Dvorak. Doch das machte ihn nur noch wütender.
    »Es sieht einfach nicht gut aus«, sagte Scarpino und betonte jedes einzelne Wort.
    »Man hat sie keines Verbrechens angeklagt.«
    »Noch nicht. Sprechen Sie mal mit Alpren.«
    »Hören Sie, können wir uns auf diesen Fall hier konzentrieren?«
    »Ja, sicher.« Scarpino warf einen mißmutigen Blick auf die Leiche von Romulus Bell. »Ich wollte Ihnen nur einen kleinen Tip geben, Doc. Ein Typ wie Sie hat so einen Ärger doch nicht nötig. Eine Frau, die ihre eigene Mutter zusammenschlägt …«
    »Scarpino, tun Sie mir einen Gefallen.«
    »Ja?«
    »Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Mist.«
    Toby schlief diese Nacht in Ellens Bett. Nach dem grausamen Ereignis in Chinatown war sie heimgefahren und hatte ein stilles, wie leblos wirkendes Haus betreten. Sie fühlte sich eingekerkert. Begraben.
    In ihrem eigenen Schlafzimmer schaltete sie das Radio ein, »Klassik um Mitternacht«, und drehte so laut auf, daß sie die Musik noch unter der Dusche hören konnte. Sie brauchte dringend etwas Musik, Stimmen – irgend etwas.
    Als sie, den Kopf mit dem Handtuch umwickelt, aus dem Badezimmer kam, knatterte es im Lautsprecher. Sie schaltete den Apparat aus. In der plötzlichen Stille spürte sie Ellens Abwesenheit wie einen akuten Schmerz.
    Sie ging in das Zimmer ihrer Mutter.
    Das Licht knipste sie nicht an, blieb lieber im dämmrigen Schein, der aus dem Flur kam, stehen und sog Ellens Düfte ein.
    Ein wenig süßlich, wie die Sommerblumen, um die sie sich so liebevoll kümmerte. Rosen und Lavendel.
    Sie öffnete den Schrank und fuhr mit der Hand über die Reihe der Kleider. Sie erkannte sie an ihren Stoffen: Das hier war das Hemdkleid aus Leinen für den Sommer, ein so altes Stück, daß Toby sich noch erinnerte, wie Ellen es bei Vickies College-Abschlußfeier angehabt hatte. Und da hing es jetzt immer noch im Schrank, in dem Ellen all die Kleider aufbewahrte, die sie im Laufe der Jahre getragen hatte.
Wann bin ich das letzte Mal mit dir einkaufen gewesen? Ich kann mich nicht erinnern, wann ich dir zuletzt ein Kleid gekauft habe …
    Sie machte den Schrank wieder zu und setzte sich auf das Bett.
    Vor ein paar Tagen hatte sie die Bezüge gewechselt, voller Hoffnung, daß ihre Mutter bald wieder nach Hause kommen werde.
    Jetzt wünschte sie fast, sie hätte es nicht getan. Mit den Bezügen hatte sie Ellens Spuren einfach mit weggewaschen, und jetzt roch das Bett nur noch nach dem Waschpulver aus dem Waschsalon. Sie legte sich hin und dachte an die Nächte, die Ellen hier verbracht hatte. Ob im Raum hier irgendwo wohl noch ihr Schatten schwebte?
    Sie schloß die Augen und holte tief Luft. Und fiel in Schlaf.
    Am nächsten Morgen weckte sie Vickies Anruf früh um acht.
    Achtmal mußte sie es läuten lassen, bis Toby endlich in ihr eigenes Schlafzimmer gestolpert war und den Hörer aufgenommen hatte. Halb im Schlaf verstand sie kaum, was ihre Schwester von ihr wollte.
    »Es muß eine Entscheidung getroffen werden, aber ich selber kann das nicht, Toby. Es ist einfach zu schwer.«
    »Was für eine Entscheidung?«
    »Moms Beatmungsgerät.« Vickie räusperte sich. »Sie reden davon, daß sie es

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