Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
abschalten wollen.«
    »Nein.« Toby war mit einem Schlag wach. »
Nein!
«
    »Sie haben noch einmal ein EEG gemacht und sagen, es ist so gut wie nichts mehr …«
    »Ich komme gleich vorbei. Sie sollen nichts anrühren. Hörst du, Vickie? Nichts, aber auch gar nichts läßt du sie anrühren.«
    Eine Dreiviertelstunde später betrat sie die Intensiv-station des Springer Hospitals. Vickie stand in Ellens Kabine, neben ihr Dr. Steinglass. Toby ging geradewegs zu ihrer Mutter, beugte sich über sie und flüsterte: »Ich bin da, Mom. Ich bin bei dir.«
    »Wir haben heute morgen ein zweites EEG gemacht«, sagte Dr. Steinglass. »Es gibt keinerlei Hirnaktivität mehr. Die neuerliche pontine Blutung war verheerend. Sie kann nicht mehr spontan atmen, hat keine …«
    »Ich meine, wir sollten nicht gerade in diesem Raum darüber reden«, sagte Toby.
    »Ich verstehe, daß man das nicht leicht akzeptieren kann«, sagte Steinglass. »Aber Ihre Mutter versteht nichts von dem, was wir sagen.«
    »Das möchte ich jetzt nicht mit Ihnen diskutieren. Nicht hier drinnen«, sagte Toby und ging hinaus.
    Sie setzten sich im kleinen Besprechungszimmer der Intensivstation an einen Tisch, Toby schweigend und mit grimmigem Gesicht, Vickie den Tränen nahe. Dr. Steinglass, den Toby für einen kompetenten Arzt hielt, aber hier im Augenblick für fehl am Platz, fühlte sich gar nicht wohl in seiner neuen Rolle als Familienratgeber.
    »Es tut mir leid, daß ich dieses Thema aufgebracht habe«, sagte er. »Aber es muß wirklich angesprochen werden. Der Zustand dauert jetzt vier Tage an, und wir habe keinerlei Besserung feststellen können. Das EEG zeigt keine wie immer geartete Hirnaktivität. Die Blutung war massiv, und es gibt keine Hirnfunktionen mehr. Die Beatmungsmaschine … verlängert nur den gegenwärtigen Zustand.« Er holte Luft und sah sie an. »Ich glaube wirklich, es wäre das Beste, was wir tun können.«
    Vickie sah ihre Schwester und dann wieder Dr. Steinglass an. »Wenn Sie wirklich glauben, es gibt keine Chance mehr …«
    »Das weiß er nicht«, sagte Toby. »Niemand weiß das.«
    »Aber sie leidet«, sagte Vickie. »Dieser Schlauch in ihrem Hals – all diese Nadeln …«
    »Ich will nicht, daß das Beatmungsgerät abgeschaltet wird.«
    »Ich denke nur daran, was Mom sich wohl wünschen würde.«
    »Es ist nicht deine Entscheidung. Du bist nicht diejenige, die für sie sorgt.«
    Vickie schrumpfte in ihrem Sitz zusammen und sah sie aus weiten Augen an. Sie war tief verletzt.
    Toby ließ den Kopf zwischen ihre Hände sinken. »O mein Gott, es tut mir leid. Das habe ich nicht so gemeint.«
    »Das glaube ich aber schon.« Vickie stand auf. »In Ord-nung, dann triffst
du
die Entscheidung. Wenn du glaubst,
du
bist die einzige, die sie liebt.« Vickie ging hinaus.
    Kurz darauf ging auch Dr. Steinglass.
    Toby blieb mit gesenktem Kopf sitzen und zitterte vor Abscheu und Wut. Über sich selbst. Über die Frau, die sich Jane Nolan nannte.
Wenn ich dich nur fände. Und wenn ich dann einen Augenblick mit dir allein wäre.
    An diesem Nachmittag wurde es ihr zuviel. Sie rotierte innerlich. Sie hätte versuchen sollen, Dvorak zu erreichen, hatte aber einfach nicht die Energie aufgebracht. Sie wollte im Augenblick mit niemandem reden. Sie saß auf einem Stuhl an Ellens Bett, lehnte sich zurück und schloß die Augen, konnte aber nicht das Bild ihrer Mutter, die da gleich neben ihr lag, verdrängen. Bei jedem Pumpen des Beatmungsgeräts sah sie die Brust ihrer Mutter sich heben und senken und wieder senken, hörte die Luft in ihre Lungen strömen. Wußte, daß sauerstoffreiches Blut von dort in ihr Herz floß und weiter in ihr Gehirn, wo es nutzlos und ungenutzt zirkulierte.
    Jemand trat in die Kabine. Sie öffnete die Augen und sah Dr. Steinglass am Fußende des Betts stehen. »Toby«, sagte er ruhig, »ich weiß, es ist schwer für Sie. Trotzdem müssen wir zu einer Entscheidung kommen.«
    »Ich bin noch nicht soweit.«
    »Wir stehen vor einer schwierigen Situation. Die Intensiv-betten sind alle belegt. Wenn wir jetzt einen Infarkt hereinbekommen, brauchen wir sofort eines davon.« Er machte eine Pause.
    »Wir lassen sie an der Maschine, bis Sie sich ent-schieden haben. Aber Sie verstehen sicher unsere Lage.«
    Sie gab keine Antwort, sah nur Ellen an und dachte:
Wie zerbrechlich sie wirkt. Jeden Tag scheint sie noch ein bißchen mehr zusammenzuschrumpfen.
    »Toby?«
    Sie sah Dr. Steinglass an. »Ich brauche noch ein wenig länger. Ich muß

Weitere Kostenlose Bücher