Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
noch wenige da. Und es hatte keinen Sinn, nach Kikuyu zu fahren und dort in den Läden um Kredit zu bitten. Johns Konten waren schon lange überzogen.
»Lassen Sie uns ins alte Haus gehen«, sagte Carlton plötzlich. »Das ist das Wichtigste.«
Ohne darauf zu warten, dass Mara voranging, marschierte er zur Veranda.
Carlton stand mitten im Hauptraum und betrachtete alles eingehend. Mara versuchte, das Zimmer mit seinen Augen zu sehen – die Kissen aus den gewebten Tüchern der Einheimischen, die Möbel aus dem dunklen Holz des Landes, die verblichenen Orientteppiche, die neben Zebra-und Leopardenfellen auf dem Boden lagen, die Bilderleiste, um die sich eine Hoya-Pflanze rankte. An den Wänden hingen die Köpfe von einem Büffel, einem Nashorn und einer Gazelle, alle waren auf lackierte Holzplatten montiert, manche bereits mottenzerfressen. In der Mitte hing ein einzelner Elefantenstoßzahn – das letzte Überbleibsel der Elfenbeinsammlung der Lodge. John hatte es nicht über sich gebracht, ihn zu verkaufen. Auf Augenhöhe, damit man sie gut studieren konnte, befanden sich zwei Landkarten an der Wand. Die erste war ein Überblick über die Gegend, zu der Johns Jagdgebiet gehörte. Die zweite war eine Karte von Ostafrika, mit einer großen, rosa markierten Fläche. Darüber stand in großen Druckbuchstaben SAFARILAND.
Dieser Raum sah fast noch genauso aus wie zu der Zeit, als der ursprüngliche Eigentümer, Bill Raynor, hier gelebt hatte. John hatte darauf bestanden – und all seine Energie und sein Geld waren ja sowieso in den Bau neuer Gästeunterkünfte geflossen. Mara fand die schlichte, traditionelle Atmosphäre angenehm, aber sie war sich bewusst, dass das Zimmer in den Augen des Amerikaners altmodisch und schäbig wirken musste.
Sie versuchte, Carltons Gesichtsausdruck zu deuten, als er an die rückwärtige Wand trat, die voller gerahmter Safarifotos hing. Sie folgte ihm, bereit, Fragen zu beantworten. Aber er betrachtete die Bilder schweigend. Verlegen stand sie neben ihm und tat so, als interessierte sie sich ebenfalls für die Bilder. Sie ging langsam daran vorbei wie ein Besucher in einer Galerie.
Die Fotos waren in etwa alle gleich: Kunden, die mit ihren Waffen und den Tieren, die sie erlegt hatten, posierten. Oft stand auch der professionelle Jäger dabei. Ab und zu sah man Raynors attraktives, wettergegerbtes Gesicht. Auch John tauchte gelegentlich auf, so wie er jetzt aussah, mit Anfang dreißig, und als Teenager, so jung, dass er damals bestimmt noch zur Schule gegangen war.
An einem Ehrenplatz hing eine alte Schwarzweißfotografie, die 1928 bei der berühmten Safari des Prince of Wales gemacht worden war. Auf dem Foto stand Raynor neben einem anderen Jäger, Denys Finch Hatton. Die dritte Person auf dem Bild war ein rundlicher Mann in mittleren Jahren, den die Afrikaner ein wenig unpassend als Toto wa Kingi bezeichneten – das Kind des Königs. Mara warf Carlton einen Blick zu, um zu sehen, ob er einen Kommentar von ihr erwartete – das war für gewöhnlich so. Aber er betrachtete ein ganz anderes Foto.
»Wer ist das?«, fragte er und zeigte auf das Bild einer Frau, die mit einem toten Löwen posierte. Mit beiden Händen hielt sie das Löwenmaul auf und hob den Kopf in die Kamera. Ihr zurückhaltender Gesichtsausdruck – ein schönes, zartes Gesicht – wollte so gar nicht zur übrigen Szene passen.
»Das ist Alice«, erwiderte Mara. »Sie war die Frau des Mannes, der diese Lodge gebaut hat, Bill Raynor.« Sie begann Carlton die Geschichte zu erzählen, wie Alice und Bill Partner geworden waren in einer Zeit, in der Frauen bei Safaris nicht erwünscht waren, dass Alice aber die Jagd-camps so effektiv wie jeder Mann gemanagt hatte und dass sie, tragisch jung noch, gestorben war …
Carlton hörte ihr jedoch gar nicht zu. Anscheinend hatte er das Interesse an den Fotos verloren. Rasch schaute er sich Esstische und Bar an. Dann trat er an Alices Sideboard, begann Schubladen und Türen zu öffnen, um hineinzusehen. Mara unterdrückte den Impuls, ihm zu sagen, dass er hier nicht zu Hause wäre. Sie dachte an den Rat, den John ihr gegeben hatte, als sie vor drei Jahren hier angekommen war. Behandle sie wie Kinder. Lass sie tun, was sie wollen. (Damit meinte er natürlich nur, während sie hier in der Lodge waren. Draußen bei der Safari war es etwas völlig anderes.)
Gläser klirrten, als Kefa ein Tablett mit Getränken herein-brachte. Mara forderte die Gäste auf, sich zu setzen, aber
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