Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
Gesicht – sonst immer so offen und lebendig – war starr und verschlossen gewesen. Mit seinen blonden Haaren und den blauen Augen hatte er genauso ausgesehen, wie John in dem Alter vermutlich ausgesehen hatte. Hilfe suchend hatte sie zu Menelik und Kefa geblickt. Aber die Gesichter der beiden Männer hatten keine Regung erkennen lassen – sie hatten ihre Entscheidung in dieser Angelegenheit nicht beeinflussen wollen. Als Mara sich wieder zu Jesse gewandt hatte, war er mit schlurfenden Schritten auf sie zugekommen. Seine großen, neuen Schuhe, die seltsam fremd an seinen Füßen aussahen, schabten über den Boden.
Plötzlich hatte Mara es nicht mehr ertragen können. Sie war zum Landrover getreten, hatte die Blechkiste herausgeholt und auf die Erde gestellt. Jesse hatte sie mit einem Gesichtsausdruck angesehen, der sich ihr für immer ins Herz gebrannt hatte.
»Ich will dich nie verlassen«, hatte er gesagt. »Niemals.«
Mara hatte ihn erleichtert an sich gezogen. »Ich will auch nicht, dass du gehst.«
Aber es hatte bedeutet, dass sie zurück nach Tasmanien reisen mussten. Mara wusste, wie wichtig es für ihren Sohn war, eine richtige Schulausbildung zu erhalten, damit er in seinem Leben die Wahl hatte. Sie hatte die Lodge an Abassi verkauft, den Hotelier aus Kikuyu, unter der Bedingung, dass er Kefa zu seinem Geschäftspartner machte und dass Menelik – der sich bereits im wohlverdienten Ruhestand befand – weiter in seinem Zimmer auf dem Gelände wohnen konnte. Es hatte ihr fast das Herz gebrochen, zu packen und Lebewohl zu sagen. Aber wenigstens waren Mara und Jesse nicht getrennt gewesen.
Letztendlich hatten sie natürlich doch getrennte Wege gehen müssen. Jesse war mittlerweile erwachsen – und hatte seinen eigenen Weg eingeschlagen. Und er machte es gut, dachte Mara. Aus ihm war ein junger Mann geworden, auf den jede Mutter – jeder Vater – stolz wäre.
Aber manchmal fehlte ihr Sohn ihr so sehr, dass sogar ihre Knochen vor Einsamkeit zu schmerzen schienen.
Mara bemühte sich, die trüben Gedanken beiseitezuschieben. Noch vor wenigen Augenblicken, rief sie sich ins Gedächtnis, hatte sie sich über ihr neues Zuhause, den Garten und das Dorf gefreut. Die Zukunft hatte hell vor ihr gelegen. Und das stimmte ja auch. Sie würde schon noch lernen, allein zu leben, ohne sich einsam zu fühlen. Sie würde einen Weg finden, um nur noch für eine Person zu kochen, und ihre Mahlzeiten auch zu genießen, wenn sie nur das Radio zur Gesellschaft hatte. Sie hatte keine andere Wahl.
Sie erhob sich und radelte das letzte Stück den Hügel hinauf im Stehen. Vor sich sah sie schon die solide Fassade des Hauses aus der georgianischen Zeit. Die Tafel mit den Tagesgerichten stand bereits vor der Tür.
Mara schob das Fahrrad zwischen die Geranienbüsche. Sie blieb einen Moment lang stehen, um ihren schwarzen Rock zu glätten und die weiße Bluse ordentlich in den Bund zu stecken. Kurz überprüfte sie, ob sich keine Strähne aus ihrem französischen Knoten gelöst hatte. Dann ergriff sie den Korb und eilte zum Eingang des Restaurants.
Die Tür quietschte laut, als Mara sie aufstieß. Sie hatte schon oft versucht, Chantal zu überreden, die Angeln ölen zu lassen, aber ihre Chefin hatte gemeint, so würde sie gewarnt werden, wenn jemand käme. Auch jetzt hielt Chantal beim Schneiden der Kräuter inne und blickte über die breite Theke, die die Küche vom Essbereich trennte.
»Guten Abend!«, rief sie.
Mara merkte, dass sie in entspannter Stimmung war. Im Lokal lief ihre Lieblings-CD von Nina Simone, und ein Glas Rotwein stand neben dem Schneidebrett. Im Raum war es warm, was darauf schließen ließ, dass der launische Holzofen erfolgreich entzündet worden war.
Chantal nickte dankend, als Mara ihren Korb mit Kräutern und Salat auf die Theke stellte. Dann ergriff sie ihr Messer und begann erneut, Kräuter zu hacken. Ihre schnellen, sicheren Bewegungen erinnerten Mara an Menelik, der in der Lodge mit seiner geliebten Damaszenerklinge gearbeitet hatte. Sie wandte sich ab und begann, die Tische zu decken. Sie kannte die Stimmung, die von ihr Besitz ergriffen hatte. Es war, als ob die Vergangenheit mit dem Duft des Holzrauchs wieder lebendig geworden wäre. Und dann tauchte sie überall auf.
»Trink ein Glas Wein«, schlug Chantal vor.
Als Mara sich über die Theke beugte, um das Glas, das sie ihr anbot, entgegenzunehmen, warf Chantal ihr einen forschenden Blick zu.
»Hast du etwas gegessen?«, fragte
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