Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
ragten wie Speerspitzen aus den stacheligen Aloe-vera-Pflanzen empor, die auf dem felsigen Hügel wuchsen. Mara blickte von oben auf sie hinab. Sie saß auf einem Holzstuhl zwischen zwei Kasuarinen-Bäumen. Hinter ihr ragten die mächtigen Granitblöcke von Whaler’s Lookout empor. Die soliden, alten Felsen boten ihr Schutz vor den stürmischen Südwinden.
Mara beugte sich in ihrem Stuhl vor und blickte zu dem kleinen Holzhaus am Fuß des Hügels. Sie bewunderte seine schlichte, elegante Form und die Symmetrie der unterteilten Fenster auf jeder Seite der Haustür. Ihr Blick wanderte zu dem breiten Steinkamin und von dort zu den Rostflecken auf der Seeseite des Blechdaches. Und vor der Küche hing die Regenrinne herunter. Sie lächelte leise. Als sie vor acht Monaten in das Cottage gezogen war, war ihr gar nicht klar gewesen, wie viel daran repariert werden musste. Ihre Brüder hatten sich das Haus eigentlich einmal anschauen wollen, bevor sie den Vertrag unterschrieb, aber sie hatte ihr Angebot abgelehnt. Sie hatte bereits beschlossen, das Haus zu kaufen, ganz gleich, was sie ihr raten würden.
Die Entscheidung war in dem Moment gefallen, als sie das verwitterte Zu-verkaufen -Schild an der Veranda bemerkt und den Garten gesehen hatte, der sich den Hügel hinaufzog. Es war ein exotischer Dschungel aus Sisal, Felsenbirne, Bougainvilleen und Aloe vera, die vor Generationen gepflanzt worden waren und auf dem felsigen Boden gediehen. Als sie an jenem Morgen den Hügel hinaufgegangen war, hatte Mara sich sofort zu Hause gefühlt. Der Garten erinnerte sie an Afrika.
Mara wandte den Blick vom Haus ab und schaute zum Dorf und zur Küste. Der Anblick war ihr unendlich vertraut. Von hier aus konnte sie die Wiese sehen, auf der sich früher der Zeltplatz der Mädchen befunden hatte – die Umgebung so vieler sorgloser Kindheitserinnerungen. Jetzt war hier ein Naturschutzgebiet, und die alten Pinienbäume waren durch einheimische Sträucher ersetzt worden, aber die Felsen und Dünen waren noch genauso wie in ihrer Erinnerung. Bicheno hatte sich seit jenen Tagen ein wenig verändert – es gab mehr Geschäfte, und ein neues Wohngebiet war entstanden. Aber der Ort selbst war nicht davon betroffen. Mara blickte auf die Dächer in der Nähe der halbmondförmigen Bucht mit ihrem weißen Sandstrand. Die bunten Boote der Krabbenfischer dümpelten auf dem Wasser. Und dort, in der Ferne, war Diamond Island, mit seinen Felsen voller orangefarbener Flechten, die sich gegen den türkisblauen Himmel abhoben. Mara lächelte. Die ganze Landschaft war so schön. Und seit sie dieses kleine Haus am Hügel besaß, fühlte sie sich wirklich zugehörig.
Als die Sonne im Westen sank, schlang sie fröstelnd die Arme um sich. Sie trug nur eine leichte Bluse und eine Jeans. Der Tag war warm und sonnig gewesen, aber jetzt wehte ein eisiger Winterwind vom Meer her.
Sie wollte gerade den Hügel hinuntergehen, als sie Motorengeräusche hörte. Sie blickte die Straße entlang – ein glänzendes, neu aussehendes Fahrzeug. Vermutlich gehörte es einem Touristen vom Festland, dachte sie, noch bevor sie das Nummernschild eines Mietwagens erkannte. Sie fuhren häufig hier langsam herum und schauten sich die Häuser an. Als das Auto vor ihrem Cottage anhielt, machte sich Mara in ihrem Stuhl ganz klein und versteckte sich hinter einem Azaleenstrauch. Die Touristen kommentierten sicherlich das heruntergekommene Äußere des Hauses und den verwilderten Garten. Vielleicht dachten sie ja, sie könnten es kaufen. Aber sie kamen zu spät. Bei diesem Gedanken stieg Freude in Mara auf. Dieses Haus gehörte ihr. Und nichts auf der Welt konnte sie davon trennen.
Die Kette des alten Fahrrads klapperte, als Mara die Straße entlangfuhr. Mit der frischen Luft atmete sie den Duft der Kräuter ein, die in einem Korb am Lenker hingen. Es waren Kräuter und Wintergemüse aus ihrem Garten für das Restaurant, in dem sie arbeitete. Sie gehörten zu ihrer ersten Ernte, denn sie hatte das Haus kaum gekauft, als sie auch schon einen Gemüsegarten angelegt hatte. Den bearbeiteten Streifen fruchtbares Land am Fuß des Hügels hatte sie mit einem Zaun vor Opossums und Langnasenbeutler geschützt. Sie hatte auch ein paar Blumen gepflanzt – Lavendel, Ringelblumen und einen roten Hibiskus –, aber in den meisten Beeten wuchsen Kräuter und Gemüse, die sie im Dorf verkaufen wollte. Sie blickte auf ihren Korb. Spinat und Raute hatte sie dieses Jahr reichlich, aber die Kräuter –
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