Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
Minze, Petersilie, Salbei und Thymian – waren ein wenig spärlich. Hoffentlich war Chantal, die Besitzerin und Köchin des Restaurants, nicht enttäuscht. Allerdings würde sie es ihr sagen, wenn es so wäre. In den sechs Monaten, seit Mara in dem Lokal zusammen mit Chantals halbwüchsiger Tochter bediente, hatten sich die beiden Frauen angefreundet. Mara hatte zuerst nur zeitweise dort gearbeitet, um sich in der neuen Gemeinde einzuleben. Aber jetzt machte ihr die Arbeit bei Chantal so viel Spaß, dass sie nicht mehr vorhatte, sie aufzugeben.
Am Ortseingang radelte Mara an dem heruntergekommenen Hotel vorbei, das am Ende der Bucht stand. Das Gebäude war dunkel und leer – niemand wollte mehr in Hotels wohnen; die Touristen bevorzugten möblierte Apartments, Bed-&-Breakfast-Unterkünfte oder Jugendherbergen. Die öffentliche Bar jedoch war immer noch der Dreh-und Angelpunkt des sozialen Lebens im Ort. Durch die Fenster drang gelbes Licht. Mara stellte sich vor, wie die Fischer mit ihren wettergegerbten Gesichtern dort an der Theke standen und ihr Bier tranken. In den zwei Kaminen prasselte Feuer und sorgte für Wärme.
Als sie an der ungenutzten Grünanlage vorbeifuhr, stieg ihr der Geruch von brennendem Eukalyptus in die Nase. Plötzlich musste Mara an Raynor Lodge denken – der Rauch der Kochfeuer hatte den Tag begrüßt und auch den Abend eingeleitet. Sehnsucht stieg in ihr auf. So gerne wäre sie wieder in dem Heim, das sie vor zwölf langen Jahren verlassen hatte. Vielleicht sehnte sie sich auch nur nach jemandem, der ihre Verbindung mit Afrika verstand. Ihr Sohn, Jesse, teilte viele Erinnerungen mit ihr, aber er hatte kürzlich geheiratet und war weggezogen, um eine Arbeitsstelle in Melbourne anzutreten. Er und Sarah hatten Mara aufgefordert, zu ihnen zu kommen und in ihrer Nähe zu wohnen. Sie hatten sogar schon ein kleines Reihenhaus in Carlton für sie ausgesucht. Mara war versucht gewesen, ihrem Wunsch nachzukommen – sie und Jesse waren sich seit seiner Geburt so nahe gewesen, dass sie sich ein Leben ohne ständigen Kontakt zu ihm kaum vorstellen konnte. Aber sie wusste, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen war, zurückzutreten und ihn gehen zu lassen.
Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte Mara mit ihrer Mutter über das Leben in Raynor Lodge sprechen können. Sie hätten, wie so oft, über die Reise reden können, die Lorna gemacht hatte, um bei Jesses Geburt dabei sein zu können. Zuerst hatte es sie verlegen gemacht, miteinander allein zu sein, da so viele Jahre komplexer Familiengeschichte zwischen ihnen lagen. Aber später hatten sie noch oft darüber gelächelt, dass sie keine Zeit gehabt hatten, sich über ihre Gefühle Gedanken zu machen, denn Lorna war noch damit beschäftigt gewesen, ihre Koffer auszupacken, als Mara bereits – zwei Wochen zu früh – Wehen bekam.
Maras Gedanken kehrten zu jenem denkwürdigen Tag zurück. Als die Wehen einsetzten, brachen sie zum Missionskrankenhaus auf, mit Kefa am Steuer des neuen Landrovers der Lodge und Lorna und Mara neben ihm. Die Wehen kamen in immer kürzeren Abständen – und auf der Hälfte der Strecke wurde klar, dass die Geburt unmittelbar bevorstand. Kefa fuhr an den Straßenrand und half Mara aus dem Wagen, damit sie sich auf der Ladefläche niederlegen konnte. Dort räumte er rasch die seitlichen Sitze weg und breitete eine kitenge auf dem Boden aus.
»Sie wissen, was Sie zu tun haben«, sagte er zu Lorna. Dann zog er sich respektvoll zurück.
Lorna riss erschreckt die Augen auf, aber sie bemühte sich um Ruhe. »Ich weiß, was ich zu tun habe, wiederholte sie, als ob sie sich selbst überzeugen müsste. »Ich habe sieben Kinder zur Welt gebracht. Ich weiß, was ich zu tun habe …«
Mara nahm in einem Nebel aus Schmerzen nur undeutlich wahr, dass Lorna die Zeit zwischen den Wehen maß und ihr Ratschläge zum richtigen Atmen gab. Aber in den Ruhe pausen zwischen den Wehen spürte sie, wie ihre Mutter ihr über die Haare streichelte und ihr zuredete. Die Qualen kamen ihr endlos vor, aber dann verspürte sie schließlich das Bedürfnis zu pressen. Und ein paar Minuten später zog Lorna den kleinen Körper ans Tageslicht und legte ihn auf Maras nackten Bauch.
»Es ist ein Junge«, verkündete sie. »Ein schöner kleiner Junge.«
Mara konnte den Blick nicht von ihrem Sohn abwenden – staunend betrachtete sie die winzigen Händchen, die rosigen Füßchen, die hellen Haare, die feucht am glatten Köpfchen klebten. Und als seine ersten
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