Rotes Meer
Halders vor dem langen hübsch geschwungenen Gebäude hielt.
»Tellusgatan 20 .«
Sie stiegen in den vierten Stock hinauf.
Die blauweißen Absperrbänder rahmten Husseins Tür ein wie Weihnachtsschmuck, aber es war noch ein halbes Jahr bis Weihnachten. So lange konnte kein Schmuck hängen bleiben.
Winter klingelte an der Tür gegenüber. Er klingelte noch einmal.
Sie hörten kleine Trippelschritte in der Wohnung. Leichte Schritte.
Jemand kratzte von innen an der Türklinke. Sie bewegte sich, aber nur ein wenig.
Schwerere Schritte folgten.
Die Tür wurde aufgeschoben und hätte Winter fast im Gesicht getroffen.
Er bückte sich und sah in das Gesicht des Jungen. Er war noch spät auf.
»Hallo, du. Hallo … Mats.« Der Name fiel ihm rechtzeitig ein, einer von all den Namen, an die er sich nach diesem Fall erinnern würde.
Er zeigte Mats’ Mutter seinen Ausweis.
»Ja, ich erkenne Sie wieder.«
Winter steckte die Hand in die Innentasche seines Sakkos und holte etwas hervor. Es war eine Fotografie, die er der Frau hinhielt.
»Kennen Sie diesen Mann?«
Sie schaute auf das Foto, auf dem ein Mann abgebildet war, der gerade ein Haus verließ. Er sah nach oben, als wäre er sich bewusst, dass sich auf der anderen Straßenseite ein Fotograf versteckt hielt. Aber Winter war sicher, dass der Mann nichts ahnte. Es war ein vorsichtiger Fotograf gewesen.
Mats’ Mutter sah Winter an, dann wieder auf das Foto und dann wieder Winter.
»Das ist er«, sagte sie.
»Sind Sie sicher?«
»Darf ich mal sehen! Darf ich mal sehen!«, bettelte Mats.
Winter hielt ihm das Bild in Augenhöhe hin.
»Das ist ja Hussein!«, sagte Mats. »Hasse Hussein!«
»Er sagt es.« Mats’ Mutter lächelte.
»Anscheinend ist er seiner Sache sicher«, sagte Winter.
»Klar ist das Hussein«, sagte sie und zeigte mit dem Kopf auf das kürzlich aufgenommene Foto von Mozaffar Kerim.
41
D er Säveån zog sich wie ein Wallgraben zwischen den nördlichen und südlichen Stadtteilen dahin. Halders überquerte den Fluss auf dem Kung Göstas väg. Wer zum Teufel war König Gösta? Winter sah die Skyline von Partille. Sie waren jetzt auf dem Weg nach Hause.
»Donnerwetter«, sagte Halders. »Wir haben ein lebendes Gespenst gesucht. Nun ist er ein richtiges Gespenst.«
»Was hat er mit der Wohnung in Bergsjön gemacht?«, fragte Winter.
»Vielleicht ein Hotel betrieben?«
»Mhm.«
»Sprachkurse.«
»Sie war ein Zufluchtsort, der nie benutzt werden konnte«, sagte Winter.
»Und warum nicht?«, fragte Halders. »Übrigens, es ist ein Genuss, diese Karre zu fahren.«
»Ich erwäge einen Wechsel«, sagte Winter.
»Zu was?«
»Opel Corsa.«
Halders lachte auf. Selbst in dieser Situation war Lachen noch möglich. Winter lachte nicht. Später vielleicht, morgen oder im nächsten Monat.
»Sie konnten die Wohnung in der Tellusgatan nicht benutzen, weil wir dort gewesen sind«, sagte Winter. »Weil wir ihnen zuvorgekommen sind.«
»Und wie haben wir sie gefunden?«
»Weil wir erfahren haben, dass Hussein Hussein bei Jimmy gearbeitet hat.«
Sie näherten sich dem Zentrum. Der Verkehr nahm zu. In einigen Wochen würde er sich lichten, aber nicht sehr. Dann war Urlaubszeit, und die Wege und Straßen würden sich mit Touristen füllen. Die Kinder wollten nach Liseberg. Auch Winter würde mit seinen Töchtern den Vergnügungspark besuchen. Als Kind und Jugendlicher war er jeden Sommer dort gewesen. Heute vermisste er einige Attraktionen, die etwas netteren. Einige der neuen wirkten zu gefährlich.
»Und in Bergsjön gab es einen Hussein Hussein, den wir zu suchen glaubten«, fuhr Winter fort.
»Wir wussten nur nicht, wer es war.«
»Ist ja auch nicht leicht, wenn jemand verschwunden ist.«
»Es war nicht nur das«, sagte Halders. »Wir haben ja schon einmal darüber diskutiert, wie leicht es ist, ein anderer zu werden, wenn man es will. Heutzutage ist das leichter.«
»Aller Wahrscheinlichkeit nach gibt es einen richtigen Hussein Hussein, der jeden Tag aus dem Urlaub heimkommen könnte und seine Wohnung versperrt vorfinden wird«, sagte Winter.
»Aus dem Urlaub? Oder von der anderen Seite.«
»Der anderen Seite?«
»Du weißt, was ich meine.«
»Sollte Mozaffar Kerim noch ein Leben auf dem Gewissen haben? Das ist doch nicht möglich.«
»Für den, der ein anderer geworden ist, ist nichts unmöglich.«
»Wie ist er so geworden?«
»Ich bin kein Psychologe, aber ich bin ja schon einige Jahre dabei. Er wurde von etwas getrieben, das vor
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