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Rotes Meer

Rotes Meer

Titel: Rotes Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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eine Höhle sein. Sehr tief, sehr schwarz. Sie ist schon einmal dort gewesen, vor mehreren Jahren. Jetzt ist sie wieder in dieser Höhle. Winter hörte Kerim die Worte wiederholen, jedenfalls ging er davon aus, dass es seine Worte waren. Er musste Kerim jetzt ignorieren, so tun, als spräche er direkt mit Ediba Aziz, musste ihren Blick festhalten. Seine erste Frage galt dem fehlenden Jüngsten. Winter hatte vorausgesetzt, dass alle da sein würden.
    »Wo ist Ihr jüngerer Sohn? Wo ist Azad?«
    Jetzt sah sie auf, sah sich um, hastig, als wollte sie überprüfen, dass Azad nicht da war. Sie sah nicht überrascht aus.
    »Er ist draußen«, sagte sie, und dann ging auch ihr Blick nach draußen.

    Durch das Fenster sah Winter das kräftige Astwerk eines Ahorns. Es war wie eine grüne Wand auf der anderen Seite des Hofes. Vielleicht versteckte Azad sich hinter dieser Wand. Kerim war seinem Blick gefolgt, als gehörte es zu seinen Aufgaben, auch Blicken und Bewegungen zu folgen. Das ist gut, dachte Winter. Worte sind nicht alles. Er wusste das von Tausenden von Verhören, kurzen und langen. Das meiste war Interpretation. Worte konnten alles und nichts bedeuten. Er konnte jemanden stundenlang verhören, Tage, Wochen, und man konnte den Eindruck gewinnen, dass zwei vollkommen verschiedene Sprachen gesprochen wurden, und in so einem Augenblick hatte er keinen Dolmetscher zur Hand. Den Part musste er selber übernehmen.
    »Der Junge hätte hier sein müssen«, sagte Halders an seinem Ohr. »Sie sollten alle hier sein.«
    »Wo ist Azad?«, wiederholte Winter.
    »Können Sie nicht wenigstens ihn in Ruhe lassen?«
    Das war Nasrin. Sie hatte den Blick vom Fenster gelöst und sah Winter an, während die Mutter hinausschaute, als wäre nicht gleichzeitig Platz für die Blicke der beiden auf die Bredfjällsgatan und auf den Sportplatz vor der Schule, wo Kinder Fußball spielten und in kleinen Gruppen zusammenstanden und miteinander redeten. Es waren Ferien, aber die Kinder waren trotzdem dort.
    Nasrin brauchte keinen Dolmetscher. Aus ihrem Schwedisch konnte Winter keine Spur einer anderen Sprache heraushören.
    »Wie meinen Sie das, Nasrin?«, fragte er. Eigentlich wollte er nicht mit ihr sprechen, noch nicht, aber jetzt ließ es sich nicht vermeiden.
    »Ich meine nichts. Wir sind doch hier. Azad braucht nicht dabei zu sein. Er wollte es nicht.« Sie deutete mit dem Kopf zum Fenster. »Er möchte lieber Fahrrad fahren.«
    »Fahrrad fahren?«
    »Ja, das macht er gern. Er ist irgendwo da draußen und fährt herum.«
    Das ist doch nicht möglich, dachte Winter.
    Er kann es nicht sein. Von hier ist es zu weit nach Bergsgårdsgärdet, nach Hjällbo. Aber es war nicht zu weit. Er selbst könnte die Strecke in relativ kurzer Zeit zurücklegen. Hin und zurück. Er wusste nicht, wie Azad aussah. Bevor er ging, würde er um ein Foto von ihm bitten. Kerim sah ihn fragend an: Wollen wir fortfahren? Winter wandte sich wieder zu der Mutter um. Ihr Blick weilte immer noch irgendwo draußen.
    »Ich muss Ihnen einige Fragen nach Hiwa stellen, Frau Aziz.«
    Sie antwortete nicht. Er war nicht sicher, ob sie ihn hörte. Er wiederholte die Frage und Kerim wiederholte sie wie ein Echo. Dies war die richtige Art, eine fremde Sprache zu lernen. Er sah, dass Nasrin etwas sagen wollte, es sich aber anders überlegte. Was hatte sie sagen wollen? Könnt ihr Hiwa nicht in Ruhe lassen? Aber sie konnten ihn nicht in Ruhe lassen. In Frieden. Die Toten kamen nicht zur Ruhe, wenn Winter sich in ihren Tod einmischte. Oder in ihr Leben. Man könnte auch sagen, dass sie ihr Leben zurückbekamen, wenn er auftauchte.
    »Wie lange hat Hiwa bei Jimmy Foro gearbeitet?«
    Sie antwortete immer noch nicht. Winter wiederholte die Frage.
    »Ich weiß nicht … wer das ist«, sagte sie schließlich, ohne den Kopf zu wenden. Winter schaute jetzt auch hinaus, genau wie der Dolmetscher, wie alle Anwesenden. Wir machen hier ein Verhör im … Profil, dachte Winter. Wie eine ägyptische Wandmalerei. An den Wänden dieses Zimmers hingen keine Bilder. Es gab Stoffe, aber keine Bilder. Die Struktur der Stoffe war kräftig, jedoch nicht grob. Die Farben sahen aus, als wären sie durch Sand und Sonne gesiebt. Genauso sahen sie aus. An der hintersten Wand hing eine Karte, auf der ein Land abgebildet war, das Winter nicht kannte.
    »Jimmy Foro«, sagte er. »Ihm hat der Laden gehört, in dem Ihr Sohn gearbeitet hat. Wo Hiwa gearbeitet hat.«
    Sie nickte, aber Foros Namen schien sie zum

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