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Rotes Meer

Rotes Meer

Titel: Rotes Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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einem größeren Zimmer, wo sich eine ältere Frau zusammen mit einem jüngeren Mädchen erhob. Beide wirkten verängstigt. Die Frau sah aus wie ihre Töchter, war aber fülliger und kleiner als Nasrin. Sie hatte die gleichen Augen, daran bestand kein Zweifel. Die Augen des ältesten Sohnes hatte Winter auf einem Foto gesehen, auf dem Hiwa noch lebendig gewesen war. Als er tot war, konnte man seine Augen nicht mehr sehen. Sie waren fort.
    Sie sieht sehr verängstigt aus, dachte Winter. Besser, wir reden hier als im Präsidium. Die Verhörräume sind zwar so eingerichtet, dass sie ein wenig Geborgenheit vermitteln, aber es ist eine falsche Geborgenheit. Winter achtete nicht auf die Einrichtung der Wohnung, so viel bis jetzt davon zu sehen war. In diesem Moment achtete er auf die Menschen im Zimmer. Er sah den Teller mit dem Teeglas und Süßigkeiten auf dem Tisch, Baklava, Halva und andere Kekse, die aussahen wie kleine Vogelnester, Sonnenblumenkerne, Obst. Das hatte die Mutter für den Gast vorbereitet. Als Gast war er willkommen. Er würde Tee trinken und in honigsüße Kekse beißen. Das war ein Opfer.
    Ediba Aziz, die Mutter, hatte sich wieder gesetzt. Mit leiser Stimme hatte sie ihren Namen genannt und der Dolmetscher hatte ihn wiederholt. Mozaffar Kerim war neben der jüngeren Schwester, die Sirwa hieß, stehen geblieben. Später würde Nasrin Winter erzählen, dass Sirwa »leichter Wind« bedeutete. Hiwa bedeutete »Hoffnung« und der Name des kleinen Bruders Azad bedeutete »Friede«. Es waren alles kurdische Namen, die früher verboten gewesen waren. Und was bedeutet Ihr Name, Nasrin?, würde Winter sie fragen, und sie würde antworten: Er bezeichnet eine Blume, die Sie nicht kennen. Und was bedeutet übrigens Erik?, würde sie fragen. Ich weiß es nicht, würde er antworten. Gab es nicht schwedische Könige, die Erik hießen?, würde sie weiter fragen. Doch, würde er antworten, aber König bin ich nicht. Es muss was mit König bedeuten, würde sie sagen. Und er würde den Namen nachschlagen und herausfinden, dass Erik »Herrscher« bedeutete. Er bedeutete aber auch »einsam«.
    Hiwa bedeutet Hoffnung, würde er denken. Sirwa bedeutet leichter Wind, wie leichte Schritte.

    Nasrin hatte sich in einen schweren Sessel nah am Fenster gesetzt und schaute hinaus, als ginge sie das, was drinnen geschah, nichts an. Diesen Eindruck bekam Winter: Ich bin nicht hier, sagt, was ihr wollt.
    Winter wusste, dass die Familie fünf Jahre zuvor aus dem nördlichen Irak gekommen war. Aus Kurdistan, diesem Land ohne Land, das zum Iran, Irak, der Türkei und Syrien gehörte. Für die Kurden gab es das östliche, südliche, nördliche und westliche Kurdistan, das zu diesen Ländern gehörte und doch nicht dazugehörte, und das Volk verbreitete sich weiter über diese Länder und hinaus über die Welt, über Grenzen, die es gab und doch nicht gab, verbreitete sich in einer Diaspora, wie eine weitere Erinnerung daran, dass Freiheit der Gegensatz von grenzenlos ist.
    Und in Schweden war die Familie Aziz geblieben. Immer noch wartete sie auf eine Aufenthaltsgenehmigung. Die schwedischen Behörden waren der Ansicht, im nördlichen Irak herrsche schon seit so langer Zeit eine solche Ruhe, dass es keinen Grund gebe, aus dem Gebiet zu fliehen, keinen Grund, nicht zurückzukehren. Schwedische Behörden wussten es am besten.
    Aber der älteste Sohn hat jetzt eine Daueraufenthaltsgenehmigung bekommen, dachte Winter.
    Nasrin fuhr fort, nichts zu betrachten, durchs Fenster von draußen von einem Licht angestrahlt wie von Scheinwerfern. Sie braucht eine Sonnenbrille, dachte Winter. Sirwa sah ihn direkt an. Sie hatte ein offenes Gesicht und war fast noch ein Kind. Wie ist das möglich? Ediba schaute niemanden an. Ihre Augen waren geschlossen, als würde sie beten. Vielleicht betete sie, betete für ihren Sohn. Hiwa darf in der geweihten schwedischen Erde bleiben, dachte Winter und machte sich bereit. Keine direkte Übersetzung, vielmehr eine Interpretation. Aber wenn Mozaffar Kerim mich nun nicht richtig übersetzt? Oder die Familie? Er kann Gründe dafür haben. Er kann etwas zusammenlügen. Ein Glück, dass Fredrik fließend Kurdisch spricht.
    »Frau Aziz …«, begann Winter.
    Sie reagierte nicht. Ihre Augen waren immer noch geschlossen.
    Kerim sagte etwas und sie schaute auf.
    »Wir müssen Ihnen einige Fragen stellen«, sagte Winter. »Es dauert nicht lange.«
    Er wusste nicht, ob er sie erreichen würde in ihrer Trauer. Trauer kann wie

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