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Rotes Meer

Rotes Meer

Titel: Rotes Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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Dass ihr nicht schlau werdet aus einem Zeugen oder einem Verdächtigen? Ist das nicht eher die Regel?«
    »Doch schon«, sagte Ringmar.
    »Aber warum sollte ich über einen Dolmetscher ins Grübeln geraten?«, sagte Winter. »Oder einen Taxifahrer?«
    »Weil es dein Job ist«, sagte Angela. »Musst du nicht gegen alle misstrauisch sein?«
    Ringmar lächelte.
    »Das klingt nicht gerade angenehm«, sagte Winter.
    »Früher hat dir das geholfen, Erik«, sagte Ringmar.
    »Mhm.«
    »Dass du misstrauisch bist.«
    »Und wie ist es mit dir, Bertil? Hast du ein bestimmtes Gefühl?«
    »Bei dem Dolmetscher?«
    »Ja?«
    »Vielleicht … mal sehen. Aber ich weiß ja nicht, wie das mit dieser Liebe steht.«
    »Was ist mit der Liebe?«, fragte Angela.
    »Erik glaubt, der Dolmetscher hatte was mit einem der Ermordeten«, sagte Ringmar.
    »Bis jetzt ist das nur so eine Idee«, sagte Winter.
    »Mit der Frau von einem?«, fragte Angela.
    »Nein, mit einem der Männer«, sagte Ringmar.
    »Kann so was Anlass für die Morde sein?«
    »Genau die Frage stellen wir uns auch.«
    Angela beugte sich über den Tisch. »Und was sagt der Dolmetscher?«
    »Wir haben ihn noch nicht gefragt«, antwortete Winter.

14
    D ie Schreie wurden vom Wind herübergetragen. Sie mochten eine Meile entfernt sein. Sie hatten eine Bezeichnung dafür: die Rufe von der anderen Seite. Von der anderen Seite der Welt. Oder von dieser. Die dennoch eine andere Welt war. Reste einer Erinnerung, die aber nur noch bei den ganz Alten und ganz Jungen vorhanden war. In jener Welt war es die Sonne, die sich mehr bewegte als die Menschen. Hier war es genau umgekehrt. Wenn die Sonne brannte, dann schien sie doppelt so viele Stunden, und sie ging nur für eine kurze Weile unter. Dann färbte sich der Sand rot. Die Wüste war ein Meer. Sie hatte keine Segel. Das rote Meer rührte sich nicht. Es war ganz windstill. Es gab nichts, worauf einer von ihnen hoffen konnte. Sie waren schon tot.

    Ich war nicht tot, nicht wie Onkel Ali. Er lag unter dem weißen Laken. Am Morgen war er noch aufgestanden, ich hatte ihn gesehen, wie er zu den Büschen ging. Als er zurückkam, konnte ich sein Gesicht nicht erkennen, denn in dem Augenblick ging die Sonne auf, sie schien mir genau in die Augen und machte mich blind.
    Was ist schlimmer? Blind zu sein oder tot? Ich weiß es nicht, jetzt weiß ich es nicht. Ich will nicht sehen, was ich jetzt sehe. Aber wenn ich tot bin, sehe ich überhaupt nichts mehr und kann mich auch an nichts erinnern. Dann bin ich nichts mehr. Oder ich bin bei Gott. Dann kann ich vielleicht auf die Erde hinabschauen. Würde ich in diesem Moment sterben, könnte ich auf die Erde schauen, meine Schwester, meinen Bruder und meine Mutter sehen. Aber ich würde ihnen nicht helfen können. Wenn das so wäre, hätte Vater uns längst geholfen. Wenn er da oben säße und auf mich herabschaute. Das musste noch schlimmer sein, als nichts zu wissen. Sehen, aber nicht helfen zu können.
    Niemand hilft uns jetzt.
    Niemand hat uns damals geholfen.
    Wo die Menschen aus den anderen Dörfern geblieben sind, weiß ich nicht. Mutter hat gesagt, jemand habe im Westen Soldaten gesehen. Im Westen geht die Sonne unter. Die Sonne geht unter und die Soldaten kommen. Mein Bruder und ich glaubten, dass die Soldaten unter dem Sand lebten. In der Erde. Sie hassen das Licht. Sie hassen uns. Sie hassen alles.
    Einige Tage lang waren wir in die falsche Richtung gegangen, westwärts. Aber das war nicht deswegen falsch, weil dort die Soldaten waren, sondern weil die Grenze nicht im Westen verlief.
    Wir waren unterwegs zur Grenze. Das hatte ich vermutlich nicht verstanden. Die Grenze. Welche Grenze? Man hatte mir immer gesagt, es gebe viele Grenzen. Im Dorf hatte man gesagt, dort ist die Grenze, und dann hatte sich jemand mit ausgestreckter Hand einmal um sich selbst gedreht und alle hatten gelacht. Es war, als bräuchten wir keine Grenzen.
    Aber jetzt lachte niemand mehr. Jetzt brauchten wir die Grenze. Was wir tun würden, wenn wir sie erreichten, wussten wir nicht. Ich weiß nicht, wie weit es bis zur Grenze war. Morgen, sagte jemand. Das konnte auch nächstes Jahr bedeuten, das wusste ich. Es war noch lang bis zum nächsten Jahr.

15
    J immy Foros Wohnung wirkte größer als beim letzten Mal. Das Gefühl war Winter nicht neu. Es hing mit der Zeit zusammen. Nur wenige Tage nach einem Verbrechen bekamen die Dinge gewissermaßen eine andere Form, die Proportionen veränderten sich. Alles legte sich zur Ruhe.

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