Rotes Pferd mit schwarzer Mähne
Seitenweg. Ein kleines Stück weiter ließ er ihn vor einem Sandweg anhalten. «Ich möchte Queen ausladen, und dann bis zur Farm am Zügel führen. Der Weg ist schlecht, das Fahren könnte ihr schaden.» Der Mann war einverstanden und verabschiedete sich.
Tom ließ Queen, die sofort zu grasen begonnen hatte, eine Weile Zeit. Nachher ging sie willig auf dem Waldweg neben ihm her. Als sie vor einem Ast scheute, der quer über dem Weg lag, führte Tom sie um das Hindernis herum, während er beruhigend auf sie einredete. Sie war leicht zu behandeln, so ungewöhnlich sanft war sie. Stolz erfüllte ihn, daß er sie betreuen durfte! Es gab wohl kein Buch über Trabrenn-Champions, in dem ihr Name nicht verzeichnet war!
Nach einer kurzen Strecke hörte der Wald auf. Weithin erstreckten sich Felder und Wiesen. Rechter Hand stand ein langer Hühnerstall, dahinter wand sich ein kleiner Bach durch die Felder. Der Junge blieb stehen, als er am Wasser angelangt war. «Schau, Queen», sagte er, «hier ist deine neue Heimat!» Genau vor ihnen, terrassenartig an einen Hang gebaut, stand der Stall, dessen rotes Dach in der Sonne glänzte. Davor sah man einen eingezäunten Hof, und dahinter erhob sich ein geräumiges Wohnhaus. Ein älterer Mann von untersetzter Gestalt trat eben aus dem Stall, schloß die Tür hinter sich und ging über den Hof.
Tom winkte ihm. Er wußte, daß es vergeblich war, Onkel Wilmer zu rufen, denn er war so gut wie taub.
Der Onkel wartete, während Tom die Stute in den Hof führte. Tom merkte, wie sich die halb geschlossenen Lider des Alten weit öffneten, so daß man nun seine scharfblickenden grauen Augen sah. «Warte, bis ich ihr die Decke abgenommen habe!» rief der Junge stolz, «du mußt sie dir unbedingt ansehen!»
Der Mann nickte wortlos und hielt Queen am Halfter, während Tom ihr Decke und Kopfschutz entfernte. Der Junge trat mit erwartungsvoll glänzenden Augen zurück. «Wie findest du sie, Onkel Wilmer?»
Aber sein Onkel sagte nur kurz: «Gib ihr etwas Wasser, sie ist durstig!»
Die Freude wich aus Toms Augen. «Ich war ohnehin im Begriff, sie zu tränken. Ich dachte nur, daß es dir Freude machen würde, sie anzuschauen.»
Nachdem Queen getrunken hatte, begann sie zu weiden. Tom löste den Führriemen und schloß das Hoftor.
Sein Onkel stand stumm neben der Stute, während sie graste. Nach einer Weile knurrte er: «Sie ist zu groß, um schnell zu sein. Die besten Traber sind kleiner!»
Tom wurde rot vor Ärger. «Sie ist nur 1,53 Meter hoch! Das ist doch nicht groß!»
«Sie sieht wie ein Arbeitspferd aus. Vor einem Pflug müßte sie sich ganz gut ausnehmen.»
Tom war zu erzürnt, um das neckende Augenzwinkern seines Onkels zu bemerken.
«Du mußt dir Harvey Moorhearts Pferde ansehen», fuhr der Onkel fort, «er hat da einen Fuchswallach, der auf der Allentown-Bahn gelaufen ist. Mit sehr gutem Erfolg.»
«Queen hat einen Meilenrekord von 2:07 aufgestellt! Ein solches Pferd gibt es hier weit und breit nicht!» erklärte Tom stolz.
«Was sagst du?» fragte der Onkel und hielt die Hand um die Ohrmuschel.
«Ach nichts, Onkel Wilmer, weiter gar nichts.»
Tom hörte seine Tante Emma rufen. Sie stand im Türrahmen ihres Wohnhauses. Sie war groß und hager, trug ihr graues Haar in der Mitte gescheitelt, straff zurückgekämmt und hinten zu einem Knoten aufgesteckt.
«Tom!» rief sie, «sage deinem Onkel, er soll Ofenholz hereinbringen! Und du, komm zum Abendbrot, es ist alles bereit!»
«Tante Emma, Queen ist eingetroffen!» rief Tom zurück. «Willst du sie dir nicht einmal ansehen kommen?»
Er erhielt keine Antwort, die Tante war im Haus verschwunden. Ich glaube, ich darf von ihnen kein Verständnis erwarten, dachte er. Wenn man sein Leben auf einer Farm verbringt wie sie, ist man an Tiere gewöhnt. Sie waren nicht einmal beeindruckt, als ich ihnen erzählte, wie wertvoll Queen ist, und wie lieb ich sie habe.
«Sie wird ihr Fohlen erst in einem Monat bekommen», sagte Onkel Wilmer.
«Sie wird es nächste Woche haben oder kurz darauf!» schrie Tom, so laut er konnte.
Sein Onkel ging um die Stute herum. «Ich habe immer Stuten gehalten, und ich kann dir genau sagen, wann ein Fohlen zu erwarten ist.»
Der Junge biß sich auf die Unterlippe. «Sie wird es in der nächsten Woche zur Welt bringen!» Er hielt inne und schrie dann: «Tante Emma braucht Brennholz! Überdies ist unser Abendessen fertig.»
Der Onkel hatte ihn verstanden, denn er folgte ihm hinüber zum Holzschuppen. Sie
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