Rotglut - Kriminalroman
Polizeirevier. Das kannst du so weitergeben, ich vermute, du wirst nach unserem Treffen einen Anruf tätigen.«
Die kleine Rede hatte Yves erschöpft. In den letzten Jahren hatte er nicht viel Deutsch gesprochen. Und auch jetzt war ihm zwischendurch zweimal ein ›eh bien‹ entschlüpft.
Der Mann hatte ihm mit unbewegter Miene zugehört, wirkte fast gelassen. Yves starrte in sein Gesicht, dann auf seine Hände, die der Mann zu Fäusten geballt hatte. Die Knöchel traten schon weiß hervor. Er war wohl doch nicht so gelassen, wie es zunächst den Anschein hatte.
»Wir brauchen Zeit, so schnell geht das nicht. Denkst du, wir schleppen die ganze Kohle in unseren Jackentaschen mit? Alles angelegt in Aktien und Wertpapieren«, erklärte der Mann schroff.
Yves war im ersten Moment irritiert. Sein Gegenüber trug keine Jacke, wozu auch, es war ja warm. Unter den Achseln des hellblauen Hemdes bildeten sich dunkle, breite Schweißflecken. Yves sah den Puls an der Halsseite des Mannes klopfen.
Er wartete ab. Das alles erschien ihm zu einfach. So mir nichts, dir nichts ging der Mann auf seine Forderung ein? Kein Widerstand, keine Drohung? Aber womit sollte der ihm schon drohen?
Noch bevor er zu einer Antwort ansetzen konnte, durchzog eine altbekannte Welle des Schmerzes seine Brust. Die körperliche und mentale Anstrengung forderte ihren Tribut. Er musste sich an den Stein lehnen, war einen Augenblick lang benommen.
Darauf schien der Mann nur gewartet zu haben. Einer Raubkatze gleich – das hatte Yves ihm gar nicht zugetraut – sprang er auf ihn zu, wie um ihn stützen zu wollen. Doch im selben Moment, in dem Yves sich wieder aufrichten wollte, packten ihn zwei Hände, krallten sich mit Gewalt in seine Oberarme, schmetterten ihn mit voller Wucht gegen den Stein.
Yves hatte in seinem Leben schon viele Kokosnüsse geknackt. Das Geräusch, das nun in seinem Schädel explodierte, klang ähnlich. Die Gestalt verschwamm vor seinen Augen. Er sah sich selbst wie durch einen roten Schleier: Seine Machete köpfte eine Nuss, er saß am Strand, schlürfte die frische Kokosmilch. Ehe er die Besinnung verlor, wurde er noch einmal nach vorne gerissen und wieder gegen den Stein geschleudert. Dann wurde alles schwarz.
27. Juni 2010, 19:30 Uhr, Bremen
»He, Sie beide da, ja, Sie meine ich.«
Die Brünette mit dem wippenden Pferdeschwanz drehte sich um. Fast wäre sie beim nächsten Schritt über ihren Stock gestolpert. Sie blickte in das wütende Gesicht eines alten Mannes, der ihnen auf seinen dürren Beinen entgegenjoggte.
»Bleiben Sie stehen, Sie machen ja mit Ihren Stöcken die ganze Finnbahn kaputt. Da, schauen Sie doch mal hin, das sind alles Löcher, die Sie mit dem ganzen Mist da hineinbohren. Wissen Sie, was das kostet, die Bahn jedes Mal wieder auf Vordermann zu bringen?«
Die Brünette grinste nur und wollte weiter walken. Doch ihre Freundin hielt sie am Arm fest.
»Das lasse ich mir von dem alten Sack doch nicht bieten«, fauchte sie mit hoher Stimme.
»Sie alter Möchtegern-Marathonmann, die Finnbahn ist für alle da, nicht nur für Jogger aus dem vorletzten Jahrhundert, Sie …, Sie Methusalem.«
In der Tat schien der sonntägliche Jogger schon weit über 80 zu sein. Krummbeinig kam er im Schneckentempo auf die beiden zu. Ein dunkelblaues Schweißband umschlang den kahlen Schädel. Doch Respekt flößte er den beiden jungen Damen in keinster Weise ein. Frech baute sich die kleinere der beiden Frauen, eine Blonde mit kurzen, lockigen Haaren, vor ihm auf, als er sie schnaufend erreichte.
»Wir haben hier dasselbe Recht zu walken, wie Sie es haben, hier zu joggen. Wir spenden jedes Jahr für den Bürgerpark, da sind die paar Kröten, die die Ausbesserung der Bahn kostet, ja wohl von uns mitfinanziert, oder? Los, Jule, weiter geht’s!«
Sie dehnte ihren Oberkörper, hüpfte ein paar Mal mit beiden Beinen locker auf der Bahn herum und setzte sich dann, ihre Freundin mit sich zerrend, wieder in Bewegung. Absichtlich stach sie mit ihrem rechten Stock tief in die Bahn, um den alten Mann zu ärgern.
Der Greis lief puterrot an und versuchte, den Stock zu fassen, den sie ihm geschickt entwand und ihn damit fast am Kopf traf.
»Sie, ich kenne den Bürgerparkdirektor höchstpersönlich«, zeterte der Greis los, »ich werde mich heute noch über Sie beschweren. Los, geben Sie mir Ihre Namen«, forderte er.
»Das wäre ja noch schöner. Machen Sie sich doch nicht lächerlich. Jule, komm jetzt, wir walken weiter. Ich
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