Rotglut
auch keine Nachricht hinterlassen und an ihr Handy geht sie ebenfalls nicht. Ich mache mir große Sorgen, sie war völlig mit den Nerven fertig nach Ihrem Besuch. Sie hat mich kaum wahrgenommen.«
»Beruhigen Sie sich, Herr Theuerholz. Wann haben Sie denn das Haus verlassen?«
»So gegen 20 Uhr. Ich habe mich mit Freunden aus dem Tennisclub getroffen, da wird es meist sehr spät. Elvira kann also schon Stunden unterwegs sein. Sie hat auch keinen Dienst in der Klinik, das wüsste ich.«
Harrys Gedanken überschlugen sich beinahe. Elvira Theuerholz war nach dem gestrigen Gespräch erschreckend ruhig geblieben. Es hätte ihnen klar sein müssen, dass das kein gutes Zeichen war. Überhaupt, sie hätten die Frau erst gar nicht auf diese Weise mit ihren Vermutungen konfrontieren sollen. Aber nun war es zu spät. Er war sich mit einem Mal sicher, dass Elvira auf dem Weg zu Irene Stolze war oder schlimmer noch, sie war schon dort gewesen, hatte diese zur Rede gestellt und die Situation war womöglich eskaliert. Am meisten machte er sich selbst Vorwürfe. Hätte er doch nur nicht diesen Terroristenvergleich geäußert.
»Hören Sie, Herr Theuerholz, bleiben Sie, wo Sie sind, ich kann mir vorstellen, wo sich Ihre Frau befindet. Mehr kann ich Ihnen jetzt nicht sagen, ich melde mich bei Ihnen, sobald ich sie finde.«
»Aber …«, erhob Theuerholz Einspruch.
»Nein, Sie können sowieso nichts tun, überlassen Sie das bitte uns. Bis dann.« Harry legte auf, nahm noch einen Schluck Kaffee, knallte die Tasse auf den Schreibtisch und stürmte aus dem Büro, wo er mit Peter und Heiner zusammenprallte.
»Die Theuerholz ist weg! Los, Leute, wir müssen uns beeilen!«
*
Irene Stolze konnte nicht schlafen. Vergeblich hatte sie gestern versucht, Knut zu erreichen, doch er hatte nicht auf ihre Anrufe reagiert. Mehrfach hatte sie Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen, ebenso wie auf der Mailbox seines Handys. Am Ende hatte sie es nicht mehr ausgehalten und war zu Knuts Haus gefahren. Nichts.
Schließlich hatte sie eine Nachbarin, die in ihrem Garten herumwerkelte, gefragt, ob sie vielleicht wüsste, wo Knut Harmsen wäre. Die Frau hatte ihr mit betretener Miene erzählt, dass ihr Nachbar das Zeitliche gesegnet hätte. Selbstmord solle es gewesen sein. Erschossen hätte sich der Herr Apotheker. Irene hatte das Gefühl, es ziehe ihr den Boden unter den Füßen weg.
Selbstmord. Keine Sekunde glaubte sie daran. Wieso hätte Knut das tun sollen? Die Angst kroch in sämtliche Windungen ihres Gehirns, machte sie unfähig, klar zu denken. Hajo. Er war hier in Bremen und er hatte schon damals keine Scheu gehabt, den Abzug zu ziehen. Irene begann, um ihr Leben zu fürchten.
Sie wälzte sich hin und her. Schließlich gab sie auf, zog sich an, packte in Windeseile eine Tasche mit dem Notwendigsten und schnappte sich ihren Reisepass. Sie würde am Computer im Laden – zu Hause besaß sie keinen – nach Flügen suchen, die am nächsten Morgen von Bremen abgingen. Sie polterte die Treppe hinunter, schloss die schwere Haustür auf und eilte auf die Straße. Es war glücklicherweise nicht weit zu gehen, und nach nur wenigen Minuten hatte sie den ›Mondenschein‹ erreicht. Misstrauisch schaute sie sich um, bevor sie die Ladentür öffnete. Keine Menschenseele war zu sehen, doch die Angst saß ihr im Nacken. Sie musste sich beeilen. ›Hätte ich doch nur wie Knut schon einen Flug nach Venezuela gebucht.‹
Irene fuhr den Computer hoch, der in dem kleinen Hinterzimmer ihres Ladens stand. Sie würde versuchen, den nächstbesten Flug nach Südamerika zu bekommen. Venezuela, Uruguay, egal. Hauptsache, weg. Ihre Kreditkarte würde das schon noch hergeben.
›Blöde Kiste‹, beschimpfte sie den Computer im Stillen, ›nun mach schon.‹
Endlich war die Webseite aufgebaut, und sie ließ ein Suchprogramm laufen. Flüge ab Bremen via Frankfurt nach Caracas waren ihre erste Option. Knapp 3.000 Euro, und der Flug erst in drei Tagen. Gut, dann eben nach Uruguay, vielleicht hatte sie da mehr Glück. Montevideo. Trotz allen Unbehagens, das sie verspürte, musste sie bei der Erinnerung an den alten Spielfilm ›Das Haus in Montevideo‹ mit Heinz Rühmann lächeln.
Die Suchmaschine zeigte ihr an, dass ein Flug nach Montevideo erst in fünf Tagen verfügbar war und knapp über 4.000 Euro kostete. Das war ja noch schlimmer. Vielleicht wäre es besser, erst einmal nach Amsterdam zu fahren und dort vom Flughafen Schiphol aus
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