Rotglut
stickig. Er hatte sich einen winzigen Tischventilator mitten auf den Schreibtisch gestellt, einen Mini-Propeller, der nur dann merklich kühlere Luft erzeugte, wenn man ihn sich direkt vor das Gesicht hielt. Größere Ventilatoren waren in der ganzen Stadt nicht mehr aufzutreiben. Harry lag mehr in seinem Schreibtischstuhl, als dass er darin saß, seine nackten Füße steckten in der untersten aufgezogenen Schublade des kleinen Metallcontainers, in der Hoffnung, dass das Metall Kühlung bringen würde. Seine braunen Mokassins hatte er von den verschwitzten Füßen gestreift, auf Socken hatte Harry heute verzichtet.
Mit einer gerade gebogenen Büroklammer stocherte er sich in den Zähnen, um die letzten Fitzelchen eines Rinderbratens zu entfernen. Harry war vor ein paar Minuten aus der Kantine gekommen. Sich wohlig satt fühlend, was mit einer zunehmenden Müdigkeit einherging, die nun fast schon an Benommenheit grenzte, schloss er die Augen.
Also, das musste man dem Kantinenkoch lassen, er kochte zum einen sowieso nicht schlecht, zum anderen ließ er sich immer wieder etwas Neues einfallen. Den Mittagstisch dieser Woche hatte er der Küche Südafrikas gewidmet. Harry konnte nicht genau beurteilen, ob es Originalrezepte waren, nach denen Günther seine Mahlzeiten kreierte, aber die in bunten Flaschen abgefüllten exotischen Würzketchups gaben dem Fleisch doch eine besondere Note. Der Braten war mit Papayastückchen garniert gewesen, dazu hatte es ein Püree aus Süßkartoffeln gegeben. Harry hatte sich ordentlich Chili-Chutney über sein Fleisch gegossen, das, durfte man dem Etikett vertrauen, dafür sorgte, dass man sich zum Erfrischen in die Hölle wünschte. Hot und Extra-Hot erschienen ihm definitiv zu lasch. Irgendein Witzbold hatte auf die Serviette, auf der die Chili-Chutneyflasche stand, einen Totenkopf gekritzelt und darunter geschrieben: »Warnung. Der Genuss kann tödliche Folgen haben.«
Bis jetzt hatte Harry immer noch nichts von einer übermäßigen Wirkung der diabolischen Sauce bemerkt. War ja gut so, schließlich hatte er nicht vor, frühzeitig aus dem Leben zu scheiden. Gut, es war ihm etwas heißer geworden, eigentlich, wenn er ehrlich war, hätte er sich am liebsten sein Hemd vom Körper gerissen. Er hatte sein Bürofenster geöffnet, aber außer heißer Luft kam nichts hinein. Und jetzt fühlte er sich doch etwas schwindlig. Beim Versuch, die kleine Fleischfaser auf der Spitze der Büroklammer im Papierkorb zu entsorgen, fiel ihm die Klammer aus der Hand, aber Harry fühlte sich außerstande, sie aufzuheben.
Ihm wurde immer heißer und er knöpfte sein Hemd auf. Wie durch Watte vernahm er von der Straße her die wohlbekannten Klänge seines persönlichen aktuellen Nummer-Eins-Hits: Shakiras Waka Waka-Song drang an sein Ohr. Diese Frau war einfach göttlich. In den Gesang mischte sich das satte Brummen eines Motors, wahrscheinlich dröhnte die Musik aus einem Cabrio, das an einer der Ampeln gehalten hatte. Der Wagen musste mindestens zwölf Zylinder unter der Haube haben. Wie in Zeitlupe erhob sich Harry aus dem Sessel und riskierte einen Blick aus dem Fenster. Ein gelber Ferrari, natürlich ein Cabrio, parkte direkt vor dem Polizeipräsidium. Das gab’s doch nicht!
Aus dem Wagen schälte sich eine langbeinige Schönheit: Löwenmähne, Leggings im Leopardenmuster, goldfarbenes Bustier, geschmeidige Bewegungen. Irgendwie kam sie Harry bekannt vor. Sie schien sich am Haupteingang nach jemandem zu erkundigen. Harry reckte den Hals und starrte hinunter. Ihre vollen Lippen formten die Worte ›Commissario Schipper‹. Die meinte ihn! Der junge Polizist, den die Schönheit befragt hatte, zeigte nach oben, zu seinem Fenster, und die Blonde blickte hinauf. Harry hielt den Atem an. Das war doch unmöglich! Shakira. Er konnte nur flüstern: »Shakira, Shakira.«
»Kollege Schipper, geht es Ihnen nicht gut?«
Harry fuhr aus seinem Tagtraum hoch, riss mit den Füßen die Schreibtischschublade fast heraus und fluchte: »Au, verdammt!« In der Tür stand seine junge Kollegin Gunda Winkler mit einem Umschlag in der Hand. Nein, das war ganz sicher nicht Shakira. Ihm war jetzt noch ganz heiß bei dem Gedanken, dass diese Wahnsinnsfrau auf dem Weg zu ihm gewesen war. Leider nur im Traum. Und diese Frau in der Tür war so wenig Shakira wie er George Clooney. Mit ihren kurzen roten Haaren stand Gunda eher wie Pumuckls Schwester vor ihm. Harry fühlte sich betrogen.
»Ihr Gesicht ist ja rot wie eine Tomate,
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