Rotglut
Ähnliches wird über seinen Kopf gestülpt.
»Pass auf, dass er uns nicht erstickt«, zischt eine Stimme.
Rosenberg strampelt mit den Beinen und versucht, um sich zu schlagen. Keine Chance. In einem letzten verzweifelten Versuch tritt er mit seinem rechten Bein, so fest er kann, nach vorn. Er trifft und vernimmt einen gedämpften Schmerzenslaut. Noch bevor Rosenberg sich darüber Gedanken machen kann, ob dieser Laut einer Frau entfahren sein könnte, verspürt er einen dumpfen Schlag auf den Kopf. Schwärze umgibt ihn.
10. Juli 2010, Bremen
Kriminaloberkommissar Harry Schipper saß seit Stunden über den Akten des Entführungsfalles Rosenberg. Akribisch ging er jede Seite durch, aber bisher hatte er nichts zutage gefördert, was in irgendeinem Zusammenhang mit dem Mordfall Stegmann zu tun haben könnte. Wahrscheinlich war seine ganze Mühe umsonst und Stegmann war irgendwelchen betrunkenen Rowdys in die Hände gefallen, denen seine Nase nicht gepasst hatte. Er merkte, wie seine Augen müde wurden und die Konzentration nachließ. Am besten, er gönnte sich eine kurze Kaffeepause, bevor er sich dem nächsten Aktenordner widmete.
Harry stand auf und öffnete das Fenster, was keine echte Erholung war, denn herein kam ein heißer Wind, der einen glauben ließ, man wäre in der Sahara. Er füllte sich seinen Kaffeebecher, und nach ein paar Schlucken des schwarzen Gebräus ging es weiter. Der Umschlag, der zwischen zwei Seiten geheftet war, war ihm vorher gar nicht aufgefallen. Er zog ihn heraus und öffnete ihn. Ein einzelnes Foto war darin. Das Bild zeigte den entführten Bankier in einem Raum, gefesselt an einen Stuhl. Trotz seiner müden Augen starrte Harry intensiv darauf, blieb an jedem Detail hängen. Was Harry dann innehalten ließ, war die Tatsache, dass die Wände dieses Raums nicht kahl zu sein schienen, wie meist üblich, wenn irgendwelche Idioten Leute entführten und an einen Ort brachten, dessen Umgebung null Wiedererkennungswert besitzen sollte. Doch hier war was an der Rückwand zu sehen. Er war sich sicher. Die Fotografie war von minderwertiger Qualität, selbst für die damaligen Zeiten. Aber vielleicht könnte er mit einer Lupe mehr erkennen.
Harry zog eine Schreibtischschublade auf und fischte ein Vergrößerungsglas heraus. Er hielt es dicht über das Bild und glaubte, irgendwelche Schemen zu erkennen. Das war keine Tapete, ganz sicher nicht. Eher eine Art riesiges Gemälde, das die ganze Wand einnahm. Das machte ihn endgültig wach. Er sprang auf, schnappte Bild und Lupe und machte sich auf zum Büro seines Chefs.
»Chef, das musst du dir ansehen!«, rief er erregt, noch mitten in der Tür stehend. Fast triumphierend hielt er das Foto hoch. Hölzle sah ihn erwartungsvoll an.
»Was hast du denn? Einen Durchbruch?« Er schob seinen Papierkram und eine leere Tasse beiseite, um Harry Platz zu machen. Der hatte sich einen Stuhl herangezogen, hielt nun Hölzle das Bild unter die Nase und zeigte auf die Wand hinter Rosenberg.
»Was soll da sein?«, fragte Hölzle verwundert.
»Da, schau doch hin. Nimm die Lupe. An dieser Wand sind Malereien, Fresken, was weiß ich. Vielleicht könnte das eine Spur sein zu dem Ort, an dem Rosenberg damals festgehalten wurde.« Harrys Wangen glühten vor Eifer. Hölzle tat, wie ihm geheißen, und musste seinem Kollegen zustimmen.
»Das ist nicht nur eine kahle Wand, sieht auch nicht nach Schmierereien aus. Bring das mal zu den Fotospezialisten, die holen da bestimmt mehr raus.«
Hölzle öffnete seine Schokoschublade, zog zwei Riegel heraus und hielt einen davon Harry hin. »Gute Arbeit.« Harry strahlte.
»Eine Belohnung aus deiner Hand. Ich bin der glücklichste Mensch der Welt. Ach, übrigens, wir wollen uns morgen das Endspiel in der Stadt anschauen. Hast du nicht Lust mitzukommen?«
Hölzle überlegte nicht lange. »Gern. Christiane findet Fußball nicht so spannend, und allein vor dem Fernseher sitzen möchte ich auch nicht.« Er zog fünf Euro aus der Hosentasche. »Ich tippe 1:0 für Spanien. Was meinst du?«
Harry warf seinen Wetteinsatz auf Hölzles Schreibtisch und sagte ein 2:1 für Spanien vorher. Auf die Niederlande wollte keiner der beiden wetten. Am Ende sollte Hölzle mit seiner Vorhersage recht behalten.
15. Juli 2010, Bremen
Harry sehnte sich nach seinem Feierabend, dabei war es gerade erst kurz nach Mittag. Bereits um zehn Uhr war es ungewöhnlich schwül gewesen, kaum ein Lüftchen wehte durch die Stadt, im Büro war es heiß und
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