Rotglut
Kollege Schipper. Haben Sie etwa auch von der Chili-Sauce genascht? Waka, Waka?« Sie schwang ungelenk ihre Hüften.
Harry starrte sie an. Das musste es gewesen sein. In der Sauce musste irgendein Halluzinogen gewesen sein. Er hatte absolut keine Lust, sich von seinem Tagtraum zu verabschieden, aber Gunda wedelte bereits mit dem Umschlag vor seiner Nase.
»Hier, dass soll ich Ihnen von den Technikern mitbringen. Die meinten, sie hätten aus dem Foto noch ganz schön was rausholen können. Der Ausdruck würde Ihnen sicher weiterhelfen.«
Sie warf Harry den Umschlag auf den Tisch. Harry, der bis jetzt immer noch nichts gesagt hatte, ließ nur ein Brummen vernehmen. Als seine Kollegin kopfschüttelnd das Zimmer verließ, glaubte er, noch das Wort ›Weichei‹ zu vernehmen, aber vielleicht hatte er sich auch diesmal getäuscht.
Er griff nach seinem Kaffeebecher, in dem noch kalter Kaffee vom Vormittag übrig war, und trank ihn in einem Zug aus. Die ganze Zeit hatte er von dieser Sauce nichts gemerkt, und nun brannte seine Kehle wie Feuer. Sein Feierabendbier musste heute eindeutig mehr als eisgekühlt sein. Er leckte sich über die Lippen. Aber zuerst der Umschlag beziehungsweise sein Inhalt.
Harry zog den Ausdruck aus dem Umschlag. Die Jungs von der Kriminaltechnik verstanden ihr Handwerk. Nur der Hintergrund war jetzt zu sehen, vergrößert, schärfer gemacht. Harry schnappte sich sein Vergrößerungsglas und bewegte die Lupe Zentimeter um Zentimeter über das Foto. Was er auf den ersten Blick als riesiges Gemälde im Hintergrund eingeschätzt hatte, war tatsächlich doch eine großflächige Wandmalerei. So ein Motiv hatte er noch nie gesehen: Halbnackte Amazonen im Lendenschurz und einer Art Blätterbikini ritten im Galopp zwischen Palmen hindurch, eine Hand am Zügel, in der anderen eine Art Speer. Die Haare der Frauen und die Mähnen der Pferde wehten. Das Ganze wirkte sehr farbenfroh.
›Du großer Gott, was ist das denn für ein Machwerk?‹ Harry hatte zwar keine Ahnung von Kunst, aber ein großer Wurf war das wohl nicht. Auf der anderen Seite – er konnte sich aber auch täuschen. Darin war er ja heute besonders stark. Noch einmal inspizierte er das Bild genauer. Keine Signatur, kein Datum. Nur die Horde nackter Weiber. Hier musste ein Profi ran.
Harry durchforstete die Seiten im Internet nach Kunstsachverständigen in Bremen. Die Kunsthalle in Bremen, ja, das wäre so ein Ansprechpartner. Das Museum wurde zwar im Moment umgebaut, aber die Mitarbeiter waren telefonisch zu erreichen. Schon bei der ersten Mitarbeiterin erhielt Harry einen Tipp.
»Nein, Wandgemälde, da können wir Ihnen wohl nicht weiterhelfen, aber für Bauwerke, in denen solche Wandgemälde zu finden sein könnten, sind die Denkmalschützer die richtigen Ansprechpartner. Wenden Sie sich doch bitte an die Kollegen im Landesamt für Denkmalpflege.«
Harry bedankte sich und rief die Seite des Landesamtes für Denkmalpflege auf. Die Sitemap enthielt die Rubrik ›Ansprechpartner‹, welche er anklickte. Hier, das Sekretariat des Amtsleiters, das war es. Landeskonservator Professor Dr. Gregor Malinowski, darunter waren Telefon- und Faxnummer sowie die E-Mail-Adresse angegeben. Harry wählte die Nummer an.
»Landesamt für Denkmalpflege, Corinna Haase.«
»Ja, hallo, hier Harry Schipper, Kripo Bremen. Wir brauchen in einem speziellen Fall die Hilfe eines Fachmannes. Ich hätte gern mit Ihrem Chef, Professor Malinowski, gesprochen.«
»Tut mir leid, Professor Malinowski hat einen Termin am Dom. Er ist aber spätestens gegen 15 Uhr wieder zurück. Um was geht es denn? Kann ich ihm etwas ausrichten?«
»Nun, es handelt sich um einen lange zurückliegenden Fall. Professor Malinowski kann uns vielleicht bei der Identifizierung eines Wandgemäldes behilflich sein. Wir müssten wissen, wo sich das Gemälde befindet oder befand. Ich würde ihm gern ein Foto davon zeigen.«
»Wenn Sie vielleicht kurz nach drei da sein könnten, dann ist er sicherlich zurück und er hat auch heute keinen Termin mehr, den er wahrnehmen muss.«
»Sehr schön, ich danke Ihnen.« Harry legte auf und schaute auf seine Uhr. Prima, dann würde er im Anschluss Feierabend machen.
Das Amt für Denkmalpflege lag in der Sandstraße, und Harry parkte seinen Wagen im Parkhaus in der Violenstraße. Von dort aus waren es nur wenige Schritte bis zu seinem Ziel. Kurz vor 15 Uhr löste er sein Ticket und spazierte zu dem alten orangefarbenen Gebäude in der Nähe des
Weitere Kostenlose Bücher